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Klara, 31, teilt ihre Gedankenwelt zu Arbeit und Corona

Eigentlich hat ja jede*r im Moment etwas zu sagen zu Corona. Der Fülle an Berichten und Nachrichten kann man sich so gut wie gar nicht entziehen, außer man macht eine radikale digitale Detox und unterbricht jegliche sozialen Kontakte. Ich war mir beim Schreiben dieses Textes gar nicht sicher, ob ich überhaupt noch irgendetwas Mitteilenswertes zu teilen habe und ob das hier überhaupt irgendwen interessiert. Ständiges sich selbst hinterfragen und Gedanken, die nur um sich kreisen, schiebe ich jetzt einfach mal auf die Depression, diese selbstzentrierte Krankheit. Man zähle nachfolgend mal die „Ichs“ in diesem Text, oje. Aber ich hoffe, dass sich in meinen Gedanken vielleicht auch Lesende wiederfinden können.

Hier nun also ein kurzer Bericht über mich, meine Depression und Corona. Ich sag es vorab: Hier geht es nur um mein persönliches, momentanes Empfinden. Depressionen sind vielfältig und es gibt sehr viele Menschen, denen es alles andere als gut geht und die ganz andere Erfahrungen machen. Jede*r hat seinen eigenen Umgang.

Nach einer abgebrochenen Therapie vor einigen Jahren, einem handfesten Burnout, etlichen Eigentherapieversuchen, und dann mal wieder guten Phasen zwischendurch, habe ich meinen Kopf und meinen Körper wieder auf dem Anwohnerstellplatz mit altbekannten Denkmustern geparkt – und das ohne Zeitlimit, wie es sich gerade anfühlt. Auslöser: eine gescheiterte Beziehung, ein gescheiterter Job und ein Umzug ins Ausland mit Wiederkehr in ein Leben, in dem ich meinen Platz erst wieder finden muss, inklusive Arbeit und einem stabilen Freundeskreis. Alles Dinge, für die man Energie braucht, die bei mir gerade nur mäßig vorhanden ist. Depression und Arbeitslosigkeit sind zwei je nachdem mit wem man redet, schambesetzte Themen, über die leider immer noch zu wenig offen gesprochen wird. Beide haben ein destruktives Potenzial und werden in der durch Corona bedingten Quarantänezeit durch Einschränkungen von sozialen Kontakten und dem Wegfall der täglichen Struktur noch weiter gestärkt. 

** Solltest Du momentan gefühlt in einer psychischen Krise stecken, so findest Du hier eine Auflistung an Hilfsangeboten. **

Ich bin gerade dabei, wieder einigermaßen die Füße auf den Boden zu bekommen und dann kommt Corona, und ich „das hat mir gerade noch gefehlt.“ Aber nach einigen Wochen stelle ich fest: Mir geht es ein wenig besser, vielleicht hat das auch was mit Corona zu tun, klingt zynisch, ist es wahrscheinlich auch, aber so fühlt es sich momentan für mich an.

Vor wenigen Wochen, als das Virus anfing seine Kreise zu ziehen, reagierte ich noch mit Genervtheit und Abwehr auf die Forderung zuhause zu bleiben. Klar ist es rational wichtig, die Verbreitung einzudämmen, Risikogruppen zu schützen und das Gesundheitssystem zu schonen,  aber die wenigen Treffen mit Freunden waren Lichtblicke und feste Anker in meiner Woche. Alles schien etwas übertrieben, müdes Lächeln über Klopapierhortende und allgemeines genervt sein. Erstaunt war ich über die Kollektivierung der Ängste, zog ich hieraus auch Rückschlüsse über die Fallhöhe unserer sonst so vergleichsweise behüteten Gesellschaft. Ich hatte auch oft den Eindruck, dass sich bei der begrüßenswerten Solidarität ab und zu sowas wie Katrastrophenvoyeurismus zeigt, nach dem Motto jetzt haben wir mal was „über das wir reden können“. Jammern auf hohem Niveau, darüber wie Homeoffice-Tage strukturiert werden können, ein sich überbieten an Mindefulness-Praktiken und Hobbytipps, die mich etwas unter Druck setzen, freue ich mich aktuell überhaupt, wenn ich es hinbekomme, um die gleiche Uhrzeit aufzustehen, meine Wäsche zu waschen und mich einigermaßen auf eine Sache zu konzentrieren, anstatt lethargisch auf der Bettkante zu sitzen und darüber nachzudenken, was ich als nächstes tun soll. Vielleicht ist es bei anderen auch so wie bei mir, nämlich dass andere Baustellen die Sorgen über Corona überlagern und da war die erste Reaktion eben eine von Ungeduld auf den Zustand, der einfach „zu viel ist“, weil schon zu viel Anderes im Argen liegt. Wie Eltern, die ein Kind, wenn es jammert, genervt abmahnen, anstatt sich Zeit zu nehmen und zuzuhören, weil sie einfach gerade keinen Kopf frei haben.

Blumenwiese
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Und dann beobachtete ich bei mir in den letzten Wochen so ein bisschen sowas wie einen Sinneswandel. Geholfen hat mir der Gedanke, dass es mir, von Arbeitssuche und Depression mal abgesehen, ganz gut geht. Ich bin weder obdachlos, noch bin ich eine 65 jährige Lungenpatientin, ich wohne weder seit Jahren mit 20.000 Menschen auf engstem Raum und inhumanen Bedingungen auf Lesbos, noch ist meine wirtschaftliche Existenz bedroht. Und ich muss auch nicht den immensen Druck aushalten, in hoher Position Entscheidungen für unsere Gesellschaft zu treffen. Gut, mir geht’s nicht super, ich bin ohne Arbeit, meistens ohne positive Gedanken, ohne Partner, aber ich habe eine eigene Wohnung, ich habe eine soziale Absicherung und keine Probleme, die durch Corona entstanden sind, die waren schon vorher da. Ich spüre gerade eine neue Dankbarkeit und Demut für das, was ich habe, im Vergleich zu denen, die diese Zeit härter trifft als mich, und das hilft gegen mein eigenes Opferdenken.

Was ich im Moment noch eher als positiv empfinde? Mein gefühlter Druck wird weniger, der Druck, weiter zu kommen, zu performen, sich noch mehr anzustrengen, um da zu sein, wo die meisten Freunde gerade den größten Teil ihres Tages verbringen: auf der Arbeit, im Büro, vor dem Bildschirm. Was für mich seit einigen Monaten Normalzustand ist, nämlich das Zuhause sein, das Suchen nach Rhythmus und Struktur, beschäftigt auf einmal viel mehr Menschen. Ich fühl mich dadurch weniger allein. Freunde und Familie haben auf einmal mehr Zeit, um sich auszutauschen, auch tagsüber.

Auch gut gegen den Druck wirkt der Kontrollverlust, das „nur bedingt-Einflussnehmen- Können“ darauf, wie sich die nächste Zeit entwickelt, begrüße ich. Klar, wir können alle Verantwortung dafür übernehmen, dass sich das Virus nicht ausbreitet und unser Leben an Corona anpassen. Was ich meine: Als arbeitssuchender Mensch spürst du die Verantwortung ganz deutlich, dass nur du alleine dir helfen kannst. Nur du kannst dafür sorgen, dass es dir besser geht, nur du kannst Bewerbungen schreiben, die Möglichkeiten ausschöpfen, im Hier und Jetzt zu leben, was gegen deine depressiven Zustände tun und nur du bist schuld, wenn es nicht klappt und nur du musst mit der Frustration und Ablehnung, die jede Absage mit sich bringt und mit der Scham gegenüber Familie und Freunden umgehen, die sich mit verdrucksten Erklärungen auf die Frage „wie läuft’s denn?“ äußert. Du bist „schuld“, dass es dir schlecht geht, dass du keinen Job findest und keiner kann dir diese Verantwortung nehmen. Jetzt kommt da ein Virus, legt alles lahm und lässt die Zeit ein wenig stillstehen. Es gibt einen neuen Akteur, der jetzt ein bisschen mitverantwortlich für deine Situation und dafür ist, dass die Bewerbungen nicht fruchten, der Arbeitsmarkt nicht gut dasteht; es sind nicht nur noch deine mangelnde Qualifikation, Unfähigkeit und Erfahrung. Das Virus macht die Arbeitssuche nicht leichter. Und dafür haben alle irgendwie mehr Verständnis.

Und vielleicht ist ja was dran, dass diese Zeit als erzwungene Blaupause dazu dienen kann, wieder neue Kraft zu schöpfen. Wenn der Druck weniger ist, wie momentan, ist mehr Platz im Kopf für positive Gedanken, für Ruhe und für Dinge, die die Batterien wieder auffüllen, die helfen, bei sich anzukommen. Sachen, die gut tun, wie Musik hören und machen, Sport und vor allem Freundschaften pflegen und sich durch die Krise verbinden, da ist es, das „kollektive Leiden“, geteiltes Leid ist halbes Leid, und die neue Solidarität schweißt uns Einzelne und auch als Gesellschaft zusammen. Und weniger emotionale Einsamkeit und mehr Empathie wirken bei mir immer gut gegen Depressionen. Ich wünsche mir sehr, dass nicht nur ich mich in ein paar Monaten wieder weniger nur um mich selbst drehe und dass diese neuen Prioritäten, fernab der Leistungsgesellschaft, bei vielen Menschen Corona überdauern!

Diesen Einblick hat Klara aus Berlin mit uns geteilt. Sie hat 2018 unsere studentische Kontrollgruppe bei der Durchführung unserer Bürgerbefragung unterstützt, bei der wir unter anderem einfangen wollten, was Menschen mit den Begrifflichkeiten wie Entstigmatisierung und Selbsthilfe verbinden. Bisher ist Klara noch nicht bei einer unserer Tandem-Etappen dabei gewesen, vllt. aber 2021. Falls auch Du Interesse an einer 7-tägigen Tandem-Etappe hast, so gibt es hier weitere Infos.

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