Alle Menschen, die in einer sozialen Beziehung oder in Kontakt zu betroffenen Personen stehen, demnach in irgendeiner Form soziale Verantwortung übernehmen, sind Angehörige. Demnach zählen zum Kreis der Angehörigen nicht nur nahe Familienmitglieder, sondern auch Freund*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen, Partner*innen oder auch Mitbewohner*innen.
Und Angehörige gibt es viele! Laut einer Studie des Robert Koch Instituts ist jedes Jahr ca. 30 Prozent der Bevölkerung von psychischen Erkrankungen betroffen, dementsprechend hoch ist auch die Zahl der Angehörigen. Nach Schätzungen werden ca. zwei Drittel der chronisch psychisch erkrankten Menschen von ihrem nahen sozialen Umfeld betreut.
Eine psychische Krise rüttelt an den Beziehungen der Menschen, egal ob innerhalb einer ganzen Familie oder einer Partnerschaft.
Für Menschen mit persönlichen Bindungen zu Betroffenen, ist besonders der Erstkontakt mit einer psychischen Krise des Gegenübers, mit viel Unsicherheit und Überforderung verbunden. Es braucht nicht sofort die hundertprozentig passende Reaktion auf einen Gefühlszustand, der schwer von außen nachzuvollziehen ist. Wichtig ist vielmehr, offen der veränderten Situation gegenüberzutreten und einfach nur “da zu sein”! Dabei ist es auch nicht schlimm, wenn Fragen des Gegenübers erst einmal unbeantwortet bleiben. Um der betroffenen Person eine Stütze sein zu können, ist es wichtig, sich in die Lebensrealität des nahestehenden Menschen einzufühlen und dazu braucht es, neben Einfühlungsvermögen, vor allem Informationen. Einerseits um das Krankheitsbild und dessen Auswirkung besser kennenzulernen, andererseits um das Hilfesystem verstehen zu lernen. Eine wertvolle Quelle ist hier das Wissen anderer Angehörigen, das bereits gut durch Interessenvertretungen und Selbsthilfegruppen zugänglich ist. Der Austausch mit erfahrenen Angehörigen bietet nicht nur Raum für den eigenen Gefühlszustand, sondern zeigt Lösungswege auf. Hier finden Angehörige sowohl durch das eigene Erzählen, aber auch durch die Stimmen anderer Teilnehmenden, Entlastung – das schafft Solidarität und räumt zusätzlich mit Vorurteilen auf.
Oft ist es auch für Angehörige schwierig, sich an sperrigen Diagnose-Begriffen entlang zu hangeln, die zudem durch Vorurteile geprägt sind. Hier bietet es sich an, den Blick zu öffnen und die Betroffenen als Individuum wahrzunehmen, das sich von dem klassischen Symptommuster abheben kann. Der Versuch, Diagnosen und Symptome eher in Bildern zu beschreiben, hilft nicht nur den Betroffenen, sich besser verstanden zu fühlen, sondern ermöglicht den Angehörigen, sich in die Erlebniswelt des Gegenübers einfühlen zu können. Es macht tatsächlich einen Unterschied, ob jemand sagt: “Mein*e Partner*in wirkt auf mich depressiv!”, oder eher den Zustand beschreibt mit: “Ich fühle mich abgeschnitten; als würden wir zwischen Milchglas stehen, das die Sicht und den Kontakt stört.”
Wer anderen unterstützend zur Seite steht, sollte auch sich selbst nicht aus den Augen verlieren.
Der Umgang zwischen Angehörigen und Betroffenen, wird sich mit der Zeit entwickeln und es kann sich, wenn beide Seiten den Blick nach innen richten und sich gegenseitig reflektieren, zu einer größeren Offenheit untereinander entwickeln. Zu Beginn ist es völlig in Ordnung, wenn eher kleine Schritte gegangen werden. Auch ist der Weg des Akzeptierens nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen entscheidend. Die Situation anzunehmen, zu nutzen und dabei den Blick nach vorne nicht zu verlieren, ist eine Herausforderung, die jedoch mit Zeit und Geduld leichter zu bewältigen scheint. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz sorgt dafür, dass die Betroffenen sich nicht zu stark unter Druck gesetzt fühlen und die Selbstständigkeit sowie Autonomie bewahrt werden kann. Den Betroffenen sollte zu verstehen gegeben werden, dass man als Angehörige da ist (in symptomfreien sowie in von Depression geprägten Phasen). Auch wenn es im ersten Moment seltsam klingen mag, so lohnt es, sich darin zu üben Hilflosigkeit aushalten zu lernen. Die “optimale” Lösung liegt nicht immer nahe und erneute Krisen lösen in ganz normaler Weise Frustration und ein Gefühl von Hilflosigkeit aus.
Es ist immer wichtig, sich um sich selbst sorgen. Es braucht dafür Ruhe, Hobbys und vor allem auch Austausch! Schließlich haben auch alle Angehörigen das Recht auf Selbsthilfe und Austausch mit anderen Angehörigen, um die eigene körperliche und psychische Grenzüberschreitung zu vermeiden. Es gibt mittlerweile genug Anlaufstellen, angefangen vom Kontakt- und Beratungsstellen über Soziale Beratungen von diakonischen Diensten bis hin zu Angehörigen-Vertretungen, siehe unsere Krisenlinks. Diese Angebote lassen sich niedrigschwellig zur Unterstützung nutzen – Weitere Beiträge rund um Themen, die Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen bewegen, sammelt Janine Berg auf ihrem Angehörigen-Blog. Sie ist selbst Mutter einer krisenerfahrenen Tochter und teilt ihre persönlichen Erfahrungen bspw. zu Themen der Grenzensetzung, Selbstfürsorge und Psychiatrie. Hier sind alle Blogbeiträge von ihr zu finden.