Blog

Lou, MUT-TOUR Teilnehmerin

Louise hat gelernt mit ihren psychischen Erkrankungen umzugehen

Wie bist du zur MUT-TOUR gekommen und seit wann bist du schon dabei? 

Durch Zufall habe ich damals auf Facebook einen Beitrag der MUT-TOUR gefunden. Öffentlichkeitsarbeit für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen durch Betroffene und Angehörige, nach dem Motto “mit den Menschen sprechen statt über sie”, fand ich eine super Idee. Auch wenn ich etwas Respekt hatte vor dem Radfahren – war es doch meine erste längere Radtour – habe ich im Sommer 2018 auf der Etappe vom wunderschönen Regensburg nach Freising teilgenommen. Im Jahr darauf habe ich die MUT-TOUR auf dem Patientenkongress „Depressionen“ in Leipzig am Infostand vertreten. Es hat mir viel Spaß gemacht, das Projekt zu präsentieren, Teilnehmende aus anderen Jahrgängen und Etappen kennenzulernen und dem ein oder anderen Vortrag zu lauschen. 

Was waren deine ersten Erfahrungen mit Depression? 

Seit meinem 13. Lebensjahr begleiten mich psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen. Ich lerne immer mehr über mich und meine Erkrankungen, wodurch ich immer besser damit leben kann. Aber natürlich ist das auch viel Arbeit, die Kraft kostet, welche ich nicht immer habe. Manchmal ist das okay, manchmal ist das nicht leicht zu akzeptieren. 

Was hilft dir in einer depressiven Phase? 

Vor allem professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist sowohl ambulante Therapie, als auch, wenn nötig, stationäre Aufenthalte. Gute Erfahrung habe ich auch mit ambulant betreutem Wohnen gemacht. Hier kann ich in meiner WG leben wie viele andere Studierende, habe aber regelmäßig Alltagsbegleitung parallel zu meiner Psychotherapie. Auch das gehört mit zu dem Netz, das mir den Rücken stärkt. Dazu zähle ich auch gute Kontakte, die ich in Klinikaufenthalten geknüpft habe – wir verstehen uns ohne viel zu erklären, das ist unheimlich entlastend. Zudem kann ich dankenswerterweise auf die große Unterstützung meines Partners zählen. Das fortwährende Neujustieren der Balance aus unterstützen und fordern hilft mir, Fähigkeiten zurückzugewinnen. Der viele Austausch miteinander hilft uns außerdem, mit den Krankheiten umzugehen. Ich bin ja auch viel mehr als Diagnosen, auch wenn sie ein Teil von mir sind. Denn erst einmal gibt es da mich, mit all den Facetten, die zu mir gehören und dann gibt es da Krankheiten, die das von Zeit zu Zeit überschatten. 

Generell hilft es mir auch, wirklich große Struktur in meinen Alltag zu bringen. Das habe ich in kleinen Schritten aufgebaut und umfasst zum Beispiel einmal am Tag aus dem Haus zu gehen, gesund und regelmäßig zu essen, sich jeden Tag ein bisschen zu bewegen und an einem festen Tag etwa den Haushalt zu machen. Ganz wichtig ist für mich auch ein geregelter Schlafrhythmus. Bevor ich mich tagsüber unter meine Bettdecke verkrümle, weil alles zu viel ist, versuche ich zum Beispiel Mandalas zu malen. Eine Liste mit Skills, die mir gut tun, wie eine Playlist mit Musik, die ganz bestimmt meine Laune hebt, oder Bilder von schönen Momenten, ist auch viel wert. Kleine Dinge, wie zum Beispiel abends sich mindestens eine Sache zu überlegen, die heute positiv war, kann ich auch empfehlen. Das kann sein, einen Anruf getätigt zu haben, duschen gewesen zu sein oder das Zwitschern der Vögel am Morgen.  

Lou, Teilnehmerin der MUT-TOUR 2018
Lou, MUT-TOUR Teilnehmerin

Außerhalb von Corona hat mir seit vielen Jahren der Klettersport enorm geholfen und tut es immer noch – es lässt die Welt für ein paar Züge still stehen, lässt Freundschaften entstehen und gibt mir das Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Neben all dem sind es auch Medikamente, die mich unterstützen, etwas stabiler zu bleiben. Ich habe sowohl sehr schlechte, als auch ganz gute Erfahrungen damit gemacht. Leider gleicht dies oft einem Ausprobieren, was mitnichten immer leicht zu ertragen ist. 

Zu guter Letzt: Immer wieder lieb zu sich sein und in kleinen Schritten gehen – auch wenn man rennen möchte. 

Gibt es ein Erlebnis, das dir besonders stark aus deiner Etappen-Teilnahme in Erinnerung geblieben ist? 

Der Empfang des Bürgermeisters in Freising bei strahlendem Sonnenschein war toll. Es hat mir das Gefühl gegeben, dass das Thema gesehen und die Öffentlichkeitsarbeit wertgeschätzt wird.

Was hast du Positives aus deinen MUT-TOUR-Aktivitäten in deinen Alltag mitnehmen können? 

Ich habe wieder gemerkt, wie unheimlich gut es mir tut, in der Natur zu sein. Dass es mir Kraft gibt und auch wertvolle Zeit ist, die meiner Gesundheit guttut. Etwas, was ich mir mehr erlauben möchte. 

Was möchtest du unseren Leser*innen mitgeben? 

Es ist mitunter ein langer Marathon. Für mich habe ich erkannt, je weniger ich kämpfe und je mehr ich mich auf das Veränderbare konzentriere, desto mehr fühlt es sich so an, als würde sich diese lähmende Bremse langsam lösen. Den eigenen und auch gesellschaftlichen Blick auf die Konzepte von Gesundheit und Krankheit kritisch zu hinterfragen hat mir neue, mitunter ermutigende Blickwinkel eröffnet. Es gilt meiner Meinung nach nicht nur Betroffene zu unterstützen, sondern auch systemisch bedingte Ursachen aufzuzeigen und zu verändern – unser aller Gesundheit zuliebe. 

Ein ganz praktischer Tipp ist es auch, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Für viele überraschend, aber auch psychische Erkrankungen können je nach Grad der Beeinträchtigung gesetzlich eine Behinderung darstellen. Durch Nachteilsausgleiche etwa kann diese eben „ausgeglichen“ werden. 

Wichtig finde ich auch, Angehörige nicht zu vergessen. Sie sind auch Betroffene und die Balance aus Helfersyndrom und der eigenen Gesundheit zuliebe sich abzugrenzen, kann mitunter ein innerer Konflikt sein. Es gibt auch einige Selbsthilfegruppen, in denen man sich mit anderen Angehörigen austauschen kann, was sehr wertvoll und entlastend sein kann. 

Ganz grundsätzlich finde ich zwar, dass über psychische Erkrankungen mehr gesprochen wird – wirkliche Akzeptanz ist aber aus meiner Sicht erst gegeben, wenn die relative Leistungsfähigkeit nicht den Wert von Menschen definiert. Auf dem Weg dahin können wir uns alle regelmäßig an die eigene Nase fassen [zumindest nach Corona wieder]. 

X