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Musik hilft Ferdinand im Umgang mit seinen Depressionen

Musik und Depression – Stärkung durch ein kreatives ICH

EIN GASTBEITRAG: Ferdinand war dieses Jahr bei einer der Tandemetappen mit dabei. In diesem Beitrag erzählt er, wie ihn Musik in seinem Leben begleitet und ihm auch in Zeiten schwerer psychischer Krisen Halt und Orientierung gibt. Mehr zu Ferdinand und hilfreiche Informationen zum Thema Depression findet ihr auf seiner Webseite.

“Dare to be legendary” – trau Dich, legendär zu sein. Die Botschaft des ersten Songs, den ich geschrieben habe, ist gleichzeitig die Botschaft meines Lebens. Dem Wörtchen “dare” kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Es wandelt sich während des Songs von “don’t you dare” (auf deutsch: “wage es bloß nicht!”) zum selbstbewussten “I will dare” (auf deutsch: “Ich traue mich!”) so wie sich auch mein Leben vom Getriebenen zum Gestaltenden gewandelt hat. 

Musik hat mich in diesem Prozess immer wieder begleitet. Sie hat mich getragen, wenn es mir gut ging, sie hat mich getröstet, wenn es mir schlecht ging, und sie hat mich gehalten, wenn ich gehen wollte.

Musik hat mich vom ersten Moment meines Lebens an begleitet und sie war in allen Phasen dabei 

Am beeindruckendsten war die Musik sicherlich als Symbol meiner Befreiung zu der Zeit, in der ich zum ersten Mal in einer psychoanalytischen Klinik war und mein Leben komplett umgekrempelt habe. In dieser Zeit war spürbar, dass mit jedem Stein, den ich in meiner Seele entdecken und ausgraben konnte, eine Fessel abfiel und mein musikalisches Talent etwas weiter entfaltete. Plötzlich konnte ich irgendetwas, was ich vorher nicht konnte. Auf einmal war meine Stimme kräftiger oder mein Klavierspiel intensiver. Ich konnte richtiggehend an meiner Musik erkennen, wie sich etwas in mir veränderte.

Genauso konnte ich aber auch sehen, wie beschäftigt mein Unterbewusstsein manchmal war, ohne, dass ich aktiv etwas davon mitbekam. Wenn in der Therapie etwas aufgedeckt wurde, was in mir arbeitete, dann gelangen plötzlich einfachste Dinge nicht mehr. Ich vergaß, wie man einen Akkord spielt oder mir fiel der Text nicht mehr ein, wie wenn mein innerer Prozessor überlastet wäre und für diese Tätigkeit gerade einfach kein Platz mehr war.

Musik half mir im Umgang mit meiner Depression

Ich habe mein ganzes bisheriges Leben unter Depressionen gelitten, mal mehr, mal weniger. Dazu kam eine latente Lebensunlust, mal mehr, mal weniger. In meiner Jugend habe ich teilweise so sehr gelitten, dass ich mich selbst geschlagen, geweint, geschrien und gegen mein gespürtes Leid angeschrieben habe und mehr als einmal habe ich mir gewünscht, dass mein Leben einfach aufhört. Zweimal habe ich versucht, das zu beschleunigen. In dieser Zeit hatte Musik zwei Funktionen. Zum einen war sie ein Hilfeschrei und Ventil. Etwas, in das ich meine Emotion verpacken und ausdrücken konnte. Gleichzeitig etwas, womit ich auf mich aufmerksam machen konnte. Zum anderen gab sie mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Ich konnte andere damit beeindrucken und mir darüber einen Wert zusprechen, der mir anderweitig versagt wurde. Manchmal hielt mich nur der Gedanke daran, dass ich mit Musik eines Tages berühmt werden könnte, am Leben.

Nachdem ich mein Elternhaus verlassen hatte und auf eigenen Beinen stand, ließ die Depression nach. Denn die Ursache dafür war nicht mehr da. Zumindest nicht mehr greifbar. Der Frieden aber war trügerisch, denn das, was in meiner Kindheit und Jugend angelegt wurde, wuchs nun im Verborgenen weiter. Oberflächlich aber schien ich glücklich. Meine Musik, meine Ambitionen, mein Talent verschwand aus meinem Leben. Genauso wie die Depression nur noch manchmal aufblitzte, gab es auch nur noch sporadisch Lust auf Musik. Wenn sie kam, blieb sie meistens auch eine Weile. Dann lernte ich ein paar Wochen oder Monate lang Gitarre spielen oder lernte klassische Stücke auf dem E-Piano. Aber irgendwann war die Lust wieder weg und die Instrumente staubten ein.

Die Musik ist eines der wenigen Dinge, für die ich meinen Eltern dankbar sein kann. Sie haben mich mit vier Jahren zur musikalischen Früherziehung geschickt, wo ich ein Grundverständnis für Musik gelernt habe, das bis heute das Fundament meines Spiels ist. Und mein Opa hat wohl häufig mit mir gesungen, als ich ein kleines Kind war. Wahrscheinlich war er der Einzige, der sich ernsthaft mit mir beschäftigt hat. Wahrscheinlich ist Musik darum bis heute so prägend für mich. Leider ist er gestorben, als ich drei Jahre alt war.

Immer wieder habe ich in meinem Leben Rückschläge erlebt – Misserfolge, Vertrauensmissbrauch, zerbrochene Freundschaften, unglückliche Liebschaften und Kündigungen. Häufig habe ich darauf mit Lebensunlust reagiert. Ich war immer nah am Aufgeben. Ganz oft folgte auf einen schweren Rückschlag der Gedanke, dass ich es dann doch gleich alles sein lassen könnte. Musik war dann häufig eine Stütze. Allerdings zur damaligen Zeit die Musik von anderen. Der Gedanke an die Euphorie, die ich bei einem Konzert von Die Ärzte oder Coldplay erlebe. Der durchdringende emotionale Ausdruck, den Musiker wie Serj Tankian oder Herbert Grönemeyer in ihre Stücke legen. Die umschmeichelnde Traurigkeit, die Aimee Mann oder Eva Cassidy mit ihrer Stimme transportieren.

 

Musik hilft Ferdinand im Umgang mit seinen Depressionen

Ferdinand am Klavier, seit der Kindheit trägt Musik ihn auch durch herausfordernde Zeiten

Musik unterstützt Ferdinand durch psychische Krisen

„Mein Klavierspiel und meine Stimme haben sich in den Jahren der Therapie rapide entwickelt.“

Der Start einer Psychotherapie brachte nicht nur für mein Wohlbefinden positive Veränderungen, auch mein kreatives Ich wurde verstärkt aktiviert

Seit meiner dritten Kündigung arbeite ich an meiner Depression. Ich habe in einer analytischen Psychotherapie die Ursachen aufgedeckt. Ich weiß heute, was meine Eltern mir angetan haben und was sie über fast 40 Jahre an giftiger Abhängigkeit aufrechterhalten haben. Sie haben mich gefangen gehalten. Mein Vater hat meine Musik immer klein gemacht. Zu meiner Stimme sagte er, dass sie nie für mehr reichen würde als für einen Chor. Die CD, die ich mit 16 Jahren allein in meinem vermüllten Zimmer produziert habe, wurde mit spitzen Fingern angefasst. Meine Familie hat meine Musik gefangen gehalten. So, wie sie meine Lebensfreude gefangen gehalten hat.

Mein Klavierspiel und meine Stimme haben sich in den Jahren der Therapie rapide entwickelt. In der Klinik entdeckte ich zum ersten Mal, wie ich mich am Klavier selbst begleiten könnte. Nachdem ich jahrzehntelang nur nach Noten gespielt habe, spielte ich jetzt frei. Ich entwickelte eigene Begleitmuster und eigene Melodien. Und in der Zeit, in der ich meine Geschichte in Buchform gebracht habe, habe ich auch meine ersten beiden eigenen Songs geschrieben. Eine Hommage an die Musik, die mich am Leben hält und einer, der davon handelt, dass ich mich endlich ins Licht traue.

Mein gestärktes Selbstwertgefühl half mir neue Wege zu gehen

Denn seit ich die Fesseln meiner Vergangenheit abgelegt habe, hat sich vieles entwickelt. Ich stehe zu mir und meinen Talenten. Ich fördere das, was ich künstlerisch kann. Musikalisch habe ich mir ein Repertoire von fast 60 Songs meiner großen Vorbilder zusammengestellt, das ich mit Klavier und Stimme auf die Bühne bringen kann. Das gehe ich professionell an. Seit einiger Zeit bin ich selbständig und trete als Musiker auf. Zudem arbeite ich als Moderator für Unternehmen. Ich habe die Geschichte meines Lebens aufgeschrieben, gehe für Lesungen auf die Bühne und erzähle in Vorträgen von meinem Lebensweg. Ich schreibe an weiteren Büchern über meine Reisen und darüber, wie sehr die Art von Erziehung, die ich erlebt habe, unserer Gesellschaft schadet. Ich nutze meine Talente für die Gestaltung meines ganz eigenen Lebens. Die künstlerischen Talente, die endlich ans Licht kommen dürfen und die betriebswirtschaftlichen und marketing-technischen Talente, die ich in meiner ersten Karriere mal mehr, mal weniger erfolgreich anbringen konnte.

Anfang diesen Monats erschien die Hörbuch-Version meines Buches „Steine im Rucksack“. Ich habe das Buch selbst eingesprochen. Und zwischendurch spiele ich Musikstücke, die zum jeweiligen Moment in der Geschichte passen. Außerdem habe ich aus meinem ersten Song “Dare to be legendary” meine erste eigene Single produziert. Ich wage es endlich, „legendär“ zu sein. Mal sehen, was dabei rauskommt. Die Musikstücke und ein paar Texte kann man sich übrigens auch jetzt schon auf meiner Website durchlesen und anhören.

Es fühlt sich langsam so an, als bringe ich endlich alles zusammen. Es fühlt sich zum ersten Mal in meinem Leben so an, als ergäbe alles Sinn.

Es ist immer noch ein Weg. Aber die Lebensunlust ist dabei nur noch ein ganz seltener Begleiter. Dafür hat sich eine große, mir lange unbekannte, Lebenslust dazu gesellt. Depressive Episoden gibt es nur noch sehr selten. Und sie sind so schwach geworden, dass ich sie als solche erkennen und mit ihnen umgehen kann. Sie haben ihren Schrecken verloren. Sie sind wie leise Nachwehen eines riesigen Erdbebens. Eines bereinigenden Erdbebens. Das ein schiefes und baufälliges Haus endlich zum Einstürzen gebracht hat und mir damit die Chance gegeben hat, etwas Neues und Schönes zu bauen.

Ein Haus, aus dem ab und an auch mal etwas Musik ertönt. 

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