Depression begegnen – „Redet miteinander!“
Tina aus Krefeld war im letzten Jahr bei zwei Tandem-Etappen dabei. In Ludwigsfelde sprachen wir mit ihr über ihre Erfahrungen mit Depression. Sie erzählte von ihrer Motivation, als Nicht-Betroffene bei der MUT-TOUR dabei zu sein. Auch erfuhren wir von ihr was, es braucht, um einer inklusiven Gesellschaft näher zu kommen.
Zusätzlich organisiert Tina ehrenamtlich für 2025 eine Lesung mit Claudia Gliemann und ihrem Buch „Papas Seele hat Schnupfen“ an einer Münsteraner Schule für Betroffene und Angehörige. Mehr Infos und weitere Bücher die Mut machen für Kinder und Eltern, die in schwierigen Lebenssituationen leben, sind hier zu finden.
Erzähle mir doch erstmal, wie du überhaupt zur MUT-TOUR gekommen bist?
Ich war zwei Jahre hintereinander privat auf Radtour im Süden Deutschlands unterwegs. Dabei habe ich jedes Mal die drei Tandems gesehen. Beim ersten Mal habe ich das Tandem-Team nur beobachtet, beim zweiten Mal bin ich dann auf die Gruppe zugegangen und war sehr beeindruckt. Eine Stunde lang habe ich mit einem Menschen der Gruppe gesprochen, dabei viel über den Verein und die Motive der Teilnehmenden erfahren und war begeistert von der Offenheit, mit der über Depressionen gesprochen wurde.
``Es hat mich bewegt zu erfahren, wie der Alltag mit depressiven Symptomen aussehen kann. Besonders, was es mit den Einzelnen macht und wo sie als Menschen mit der Erkrankung Depression nicht inklusiv behandelt werden, sondern eher exklusiv.``
Es hat mich bewegt zu erfahren, wie der Alltag mit depressiven Symptomen aussehen kann, was es mit den Einzelnen macht und wo sie als Menschen mit ihrer Erkrankung nicht inklusiv behandelt werden, sondern eher exklusiv. Zurück zu Hause habe ich mich näher mit der MUT-TOUR beschäftigt und war vom Konzept der Tour überzeugt, sodass ich mich für eine Tandem-Etappe angemeldet habe.
Und es ist auch für mich eine MUT-TOUR, obwohl ich nicht direkt von Depressionen betroffen bin. Ich finde es dennoch wichtig, diese Krankheit mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Denn ich glaube, dass nur, wenn Menschen miteinander ins Gespräch kommen – Betroffene und Nicht-Betroffene – der Umgang mit dieser und anderen psychischen Erkrankungen zur Normalität werden kann.
Alle Teams der MUT-TOUR suchen sich jede Nacht spontan ihre Schlafplätze. So wie hier, wo Tina und das Team ihre Zelte in einem privaten Garten von zwei netten Menschen aufschlugen durften, die sie entlang der Strecke kennenlernten.
Du meinst, für dich ist es eine MUT-TOUR. Was genau verbirgt sich für dich hinter dem Wort Mut? Gerade jetzt, wo du schon einige Tage radelnd unterwegs bist und sogar schon knapp 200 km zurückgelegt hast?
Also für mich bedeutete es gerade in der Vorbereitung ganz viel Aufregung. Denn ich musste mich auf eine Gruppe einlassen, die ich nicht kannte, und ich musste für mich klären, ob ich gut im Zelt übernachten kann.
Auch die vielen Kilometer auf dem Tandem zu bewältigen mit einer Tandempartnerin, die ich vorher nicht kannte, beschäftigte mich. Denn da muss man miteinander im Einklang sein. Wenn beispielsweise nur eine*r tritt und der andere Part überhaupt nicht, kann es zum Problem werden oder wenn eine Person andere Bedürfnisse hat als die andere.
Das Setting finde ich super, da das gemeinsame Tandemfahren dazu führt, dass man über seine eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten ins Gespräch kommt. Und dabei lässt sich idealerweise klären, wie eine gemeinsame gute Lösung aussehen kann.
Also auch ganz schön viel Kommunikation und eine Mischung aus: “Wo passe ich mich an und wo ist auch meine eigene Grenze?”. Da lernt man sich selbst auch ein Stück besser kennen, oder?
Ja, genau. Ich habe mir gedacht, wenn ich diese MUT-TOUR erlebe und wieder zu Hause angekommen bin, dann bin ich innerlich ein Stückchen gewachsen. In diesem Sinne hat es mir persönlich schon jetzt viel gebracht.
Du bist selbst als Nicht-Betroffene Person bei der Tour dabei, magst du teilen, ob es dennoch Kontaktpunkte in deinem Alltag mit mentaler Gesundheit gab oder gibt?
Ich habe beruflich sowie im familiären und freundschaftlichen Umfeld Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gesammelt. Ein Motiv, an der MUT-TOUR teilzunehmen war, besser verstehen zu können, wie es den Menschen damit geht und was sie brauchen.
Jeder Mensch hat natürlich unterschiedliche Bedürfnisse, aber so im Großen und Ganzen. Denn ich möchte besser auf sie eingehen und sie entsprechend begleiten können. Und auch für mich persönlich einen besseren Umgang mit Menschen in psychischen Krisen finden. Und lernen, auch meine Grenzen im Umgang mit den Betroffenen deutlich zu machen.
Und mit der bisherigen Etappenerfahrung im Gepäck, gehst du jetzt bereits schlauer aus dem Ganzen raus?
Eine wichtige Erfahrung aus der MUT-TOUR ist für mich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse einzelner Menschen sein können und dass es entsprechend immer nur individuelle Wege geben kann.
Theoretisch wusste ich das bereits, jetzt habe ich es auch praktisch erfahren. Wenn ich weiß, dass dieser Mensch eine Depression oder eine andere psychische Erkrankung hat, gehe ich natürlich anders mit ihm oder ihr um. Dann kann ich das Verhalten besser einordnen und verstehen: Der Mensch möchte mich nicht bewusst ärgern oder handelt nicht egozentrisch, sondern das ist Teil des Krankheitsbildes.
Dennoch muss ich Grenzen setzen, jedoch mit mehr Mitgefühl und Verständnis. Ich kann dann jedenfalls besser eine gute Lösung finden, weil ich mehr im Klaren darüber bin, was in der anderen Person vorgeht und ich somit Gesagtes oder Verhaltensweisen nicht sofort auf mich beziehe.
Während der Etappe finden in verschiedenen Orten sogenannte Aktionstage rund um mehr Offenheit im Umgang mit Depression und anderen psychischen Erkrankungen statt. Hier in Oldenburg war die Oberbürgermeisterin mit dabei und kam mit Tina über ihre Motivation ins Gespräch.
Wenn wir auf deine beruflichen Erfahrungen im Bereich Bildung blicken, magst du etwas zur mentalen Gesundheit von Jugendlichen und Kindern sagen?
Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn Kinder psychisch belastet sind, häufig eine familiäre Schieflage im Hintergrund der Auslöser ist.
Mein Ansatz war dann, dafür zu sorgen, dass das Kind eigene Strategien für sich entwickelt, um mit dieser Belastung umzugehen. In die Familie kann man natürlich auch Gedanken und Ideen einbringen. Jedoch hat man im Bereich Bildung den primären Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen und ich habe meine Aufgabe darin gesehen, ihnen irgendwie eine Sprache, Handlungsmöglichkeiten, Hilfsangebote in und außerhalb der Schule anzubieten.
``Das ist mir wichtig zu betonen, dass es um die Integration ALLER geht, nicht nur der Betroffenen mit Depression und anderen psychischen Erkrankungen. Die Nicht-Betroffen müssen genauso lernen sich zu integrieren, wie die Betroffenen.``
Für die Lerngruppen muss meines Erachtens nach wie bei allen anderen “Störungen” im weitesten Sinne auch, über das Thema Depression geredet werden. Denn dort sind von Depression betroffene Kinder und Jugendliche Teil der Gruppe. Nicht nur theoretisch, sondern genau mit den Erfahrungen, die die betroffene Person macht und genau mit den Erfahrungen, die die Gruppe mit der oder dem Betroffenen macht.
Auch hier ist Transparenz notwendig, um Akzeptanz, Verstehen, Wertschätzung und vor allem Integration aller Personen in der Gruppe zu ermöglichen. Mir ist wichtig zu betonen, dass es um die Integration ALLER geht, nicht nur der Betroffenen. Die Nicht-Betroffen müssen genauso lernen sich zu integrieren, wie die Betroffenen.
Rückblickend habe ich auch über mein Kollegium nachgedacht. Bei wem nicht auch manchmal eine psychische Erkrankung die Ursache für ein bestimmtes Verhalten oder Haltung war. Hätte ich damals von der psychischen Verfassung der Kolleg*innen gewusst, hätte ich vielleicht auch anders auf sie eingehen können.
Was würdest du ganz konkret anders machen, wenn du bei einer*m Kolleg*in eine Depression oder eine psychische Belastung vermutest?
Ich würde es ansprechen! Und zwar mit der Perspektive, darüber kann man sprechen und es ist mit Unterstützung behandelbar. Und dabei vermitteln, dass die Person genauso wichtig im System ist wie jede andere Person auch, unabhängig von Krankheit. Zusätzlich wären mir im Gespräch Fragen wichtig, wie: “Was brauchst du, damit du hier weiter für dich gut mitarbeiten kannst und dich dabei wertgeschätzt fühlst? Und einen guten Platz in einer Community hast?”.
Also vor allem das Gefühl zu vermitteln, weiterhin Teil eines Ganzen zu sein.
Ja genau! Denn Ziel ist doch, in einer inklusiven Welt zu leben. Zumindest in der besten aller Welten ;).
Das ist doch schon ein sehr passendes Schlusswort. Magst du sonst noch etwas teilen?
Das Angebot der Mut-Tour sorgt in meinen Augen dafür, diesem großen Ziel in der besten aller Welten ein Stück näher zu kommen. Einfach indem es für die gemeinsame Zeit unterwegs genau diesem Anspruch in der Gruppe gerecht wird! Die Bewegung, das in der Natur sein und die Begegnungen mit Dritten geben ihren Teil dazu!
Die Etappenteams der MUT-TOUR sind bunt gemischt – beispielsweise reichte in diesem Team die Altersspanne von Anfang 20 bis Anfang 70 Jahre. Wodurch Menschen verschiedener Lebensrealitäten zusammen kommen und vom Austausch profitieren.