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Outdoorküche, Reisen im Outdoormodus

Beweg(t/end)e Momente Teil 1 – Aufklärungsarbeit rund um psychische Erkrankungen im Innen und Außen

Dieser Beitrag stammt von Alina aus Leipzig. Sie war unter anderem bei einer Tandem-Etappe der MUT-TOUR dabei und ist ehrenamtlich als MUT-SCOUT für den MUT-ATLAS aktiv – unseren Online-Wegweiser rund um psychische Gesundheit. 

“3-2-1-MUT”…

…so schreien wir uns nach jedem ‘Boxenstopp’ (Presse-Interview- und Gesprächsterminen) gegenseitig Mut zu und setzen Energie frei in unsere strampelnden Beine, die das Tandem ins Rollen bringen. Es ist wahrhaftig befreiend und schön zu spüren, wie wir als Tandem-Team uns ermutigen und auch von Außen viel Zuspruch bekommen:

“Wir alle brauchen mehr von dem Wort, welches mit den drei Großbuchstaben auf ihrem Shirt steht – sowohl Angehörige als auch Betroffene. Ja, mehr MUT braucht es im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen!“, bestätigt uns auch der Bürgermeister von Habelsbach.

Die vermeintlich kleinen Begegnungen, die Großes bewegen“

Genau das ist es, was die MUT-TOUR ausmacht: Die vermeintlich kleinen Begegnungen, die Großes bewegen während unserer bewegten und bewegenden Etappentour von München nach Ulm. Vermutlich auch etwas heilen, was in dieser Form nicht sehr häufig stattfindet. Unterstützende, verständnisvolle Worte. Ja, mutmachende Worte, die zu mehr Miteinander einladen, die mitfühlen und Verständnis zeigen, statt Distanz aufzubauen. Ein “Macht weiter so, denn das ist wichtig und bewegt uns alle!! Es bewegt uns alle aufeinander zu statt voneinander weg!” 

Zelte der MUT-TOUR während einer Tandem-Etappe

Teil der MUT-TOUR ist das Outdoor-Erlebnis – so schlafen die Teams in Zelten, manchmal mitten in der Natur.

Ein Hoch auf den ehrlichen Austausch und dem Gefühle-in-Worte-fassen

Meine Etappentour ist jetzt knapp 4 Wochen her. Meine Erlebnisse der MUT-TOUR nochmal durch das Klackern der Tasten meines Laptops nachklingen zu lassen, tut gut. Einige Sätze sind schnell abgetippt und beschwingen mich genauso sehr wie die erlebten Momente. Und andere lassen meine Finger fast wie eingefroren über die Tastatur streifen.

Wenn Menschen über das Thema ‚Seelische Gesundheit‘ sprechen, geht es auch immer um das Gefühl der Ohnmacht und den Wegbruch der Selbstbestimmung. Gravierend für jeden von uns, für die Betroffenen oder die Mitfühlenden.

Auch das bekommen wir in vielen kleinen oder sehr tiefgehenden Gesprächen auf Tour zu spüren. Egal welches Alter oder welche Herkunft, die erlebten Gefühle sind ähnlich und doch so schwierig in Worte zu fassen. Denn wir alle sollten mehr über unsere Gefühle sprechen, die uns als Mensch ausmachen. Wir merken, wie die MUT-TOUR genau das tut und es ist an der Zeit, unserem Menschsein Ausdruck zu verleihen. 

“Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten…” – Begegnungen am Wegesrand, die zeigen, es lässt sich offen über psychische Krisenerfahrung sprechen

Direkt beim Tourenstart spricht uns eine Frau an: “Ich finde das toll, wofür sie unterwegs sind”. Es sind Menschen, die sich öffnen, die ihre Geschichten erzählen und offen mit psychischen Erkrankungen umgehen, nicht schweigen und das Thema ernst nehmen. “Ja, vor 3 Jahren war meine Schwester betroffen und ich musste sie zum Hilfeholen schleppen. Ich wünschte, das wäre nicht so herausfordernd gewesen…”

Unterstützung für An- und Zugehörige von Menschen mit psychischen Krisen oder Erkrankungen

Auch für An- und Zugehörige Menschen gibt es Beratungsangebote und Selbsthilfegruppenformate, die Entlastung durch Austausch bieten. Schau einmal beim MUT-ATLAS vorbei, hier kannst du auch nach der Zielgruppe Angehörige filtern und deutschlandweit psychosoziale Unterstützungsangebote finden.

Der bundesweite BApK bietet allein online viele Informationen für An- und Zugehörige von Menschen mit psychischen Krisen und Erkrankungen. Beispielsweise eine Interviewreihe mit Blickwinkeln unterschiedlicher Beziehungsebenen – wie z.B. wie eine psychische Erkrankung auf eine romantische Partnerschaft wirkt.

Outdoorküche, Reisen im Outdoormodus

Zum Outdoor-Modus gehört es auch unter freiem Himmel mit Camping-Kocher und co. zu kochen. Dabei lässt es sich manchmal leichter ins Gespräch über schambehaftete Themen kommen. 

Während ich hier sitze und in meine Tastatur haue, um Worte dafür zu finden, was mich innerlich bewegt, schreit in mir ein lauter Appell an unser kollektives Bewusstsein: “HALLO, bitte, bitte schweigt nicht und nehmt das Thema ernst!”

``Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung in der Gesellschaft können uns alle stärken - Betroffene, Nicht-Betroffene und Angehörige, denn eine Auseinandersetzung mit dem Thema wirkt auch präventiv und unterstützend im Umfeld psychisch Erkrankter.``
Alina

Die MUT-TOUR erinnert mich an ein afrikanisches Sprichwort, denn „viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht dieser Welt verändern.“ und das für den Zeitraum der Tour zu spüren, tut gut und stärkt. Wir sechs Tandem-Fahrende sind wie Impulsgebende, regen zum Austausch an und hoffen auf eine Veränderung im Gesamtgefüge.

Wie beim ‘Schmetterlingseffekt’ (ein Phänomen der Chaosforschung), kann der noch so winzige Flügelschlag eine langfristige Auswirkung im gesamten komplexen System anstoßen. Mir gefällt diese Metapher des Schmetterling-Flügelschlags, der einen Tornado an einem anderen Ort der Welt auslösen oder verhindern kann. So kann die oft gefühlte Ohnmacht bezüglich vieler Thematiken durch das “kleine” Wirken in etwas Fruchtbares und Sinnvolles umgewandelt werden. Ja, die MUT-TOUR erinnert an diesen Schmetterlings-Effekt – ein gemeinsames in die Pedale treten, das einen offenen Austausch in die Gesellschaft bringt und sensibilisiert. 

Verstehen wollen, statt wegzugucken – Miteinander ins Gespräch kommen für mehr Verständnis gegenüber Menschen mit Depressionen, Ängsten, Süchten und co.

Ein Kommentar im Zug Richtung MUT-TOUR-Etappenstart in Regensburg hat sich auch eingebrannt. Wie ein Funken vom Lagerfeuer, der noch so klein sein mag und trotzdem ein ganz schön großes Loch in unsere Klamotten bringen kann. 

“Sowas kann mir nicht passieren, ich laufe ja positiv durch die Welt!” war die Meinung eines Zug-Mitfahrenden, mit dem ich mich über das Thema unterhalten habe. Mich durchfuhr eine ungehemmte Wut, die wie so oft in mir weiter brodelt und keinen Kanal aus mir herausfindet. Es kursieren da draußen leider noch zu viele falsche Annahmen, die Menschen mit Herausforderungen mit ihrer seelischen Gesundheit in eine Pessimismus-Ecke drängen…

WUT zeigt systemische Ungerechtigkeiten auf

Ja, das macht mich wütend! Denn NIEMAND ist selbst schuld daran. Familien, Schulen, das Gesundheitssystem, Arbeitskräftemangel – Systeme sind überlastet und das belastet auch, und vor allem uns als Menschen im System. Es ist völlig verständlich, dass wir als Individuen nur einen gewissen Toleranz- und Stressbereich wahren können. Darüber zu sprechen und in den Austausch zu gehen, haben wir nicht wirklich gelernt und so ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig Plattformen bieten, die “Safe Spaces” für einen Austausch auf Augenhöhe möglich machen und Verständnis aufbringen, um uns gegenseitig verstehen zu wollen. 

“Es braucht Safe Spaces, Orte für einen verständnisvollen Austausch, damit Menschen sich mit ihren Gedanken und Gefühlen rund um Depression und co. anderen anvertrauen und somit ein gegenseitiges Verstehen möglich wird.”
Alina

Allein das kann schon helfen, dass sich Menschen Hilfe suchen, wenn es notwendig wird und nicht erst, wenn es zur letzten Instanz wird oder gar zu spät ist. Ohne verängstigen zu wollen, aber die Studien nach der Pandemie sind so alarmierend, gar Systemfehler-schreiend, wie nie zuvor. Wir sollten psychische Erkrankungen endlich so ernst nehmen, wie auch andere Krankheiten – unser Körper besteht eben nicht nur aus unserer physischen Hülle – wir sind so viel mehr und das sollten wir uns zugestehen! 

Hier findest du Teil 2 diesen Beitrags. 

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