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kreativer Beitrag einer Verfasserin eines Blogbeitrags

Gastbeitrag: Ein bisschen Outing – Mut beweisen ohne Tour

Hallo, ich bin Andrea – 34 Jahre alt. Ein guter Freund hat mir den Spitznamen Shelda gegeben, weil er meine Gedankengänge für ähnlich kompliziert wie die von Sheldon aus der Sitcom ‚The Big Bang Theory‘ hält. Das kann ich irgendwie gut für mich annehmen und so ist mir Shelda als so eine Art künstlerischer Zweitname ganz lieb geworden.

Ja, warum schreib ich hier? Ich wollte dieses Jahr bei der MUT-TOUR mitmachen und ein paar Leute zum Mitradeln für eine kürzere Strecke zusammentrommeln. Das fällt jetzt wohl aufgrund der Entwicklungen durch Corona flach..

Außerdem habe ich gerade das Bedürfnis mein Seelenleben auszudrücken, will mehr zu mir stehen – mich nicht mehr so verstecken oder meinen, verstecken zu müssen, weil ich eine psychische Erkrankung habe.

Meine psychische Erkrankung, ja, das ist wohl eine Form der bipolaren Störung – manisch-depressiv nannte man das früher. Schon lange kenne ich wiederkehrende depressive Phasen in unterschiedlicher Ausprägung und auch mehr oder weniger leichte bis mittlere manische Phasen. Ich tick‘ da nicht völlig aus, aber die Bandbreite, wie ich mich mit depressiven Symptomen erlebe bzw. meine Angehörigen mich und wie ich dann drauf bin, wenn meine Gedanken- und Gefühlswelten manisch gepolt sind, unterscheiden sich doch erheblich. Also versuch ich diese Störung irgendwie anzunehmen; das gelingt mir mal besser und mal schlechter.

Hier möchte ich gerne ein Gedicht teilen, das ich 2008 geschrieben habe (vor 12 Jahren schon) und das ich 2018 nochmal ein bisschen für mich verändert habe und für jetzt so stehen lassen möchte. Es beschreibt die Gedankenachterbahn bzw. heute würde ich  auch sagen: das Gefühlskarussell in meinem Kopf während einer eher manisch geprägten Phase:

 

Achterbahnfahrt (2008-2018)

Sie jagen dahin

Sie rennen und hetzen

Bitte nicht mit mir

Hört auf so zu fetzen!

Für ‘nen Moment sind sie still

Warten ab mit Hust & Keuch

Und ich pirsch mich an:

Ruhig, gleich hab‘ ich euch!

Doch dann geht’s wieder weiter

Kein Ende in Sicht

Und ich bin nur hilflos

Ich will das nicht.

So liegen die Dinge

So schmerzt mich gestern Nacht

Und insgeheim denk‘ ich:

Mein Gott, gib‘ doch Acht!

Doch kann’s kein Ziel geben

Es lebe der Plan!

Mit Höhen und Tiefen

In der Gedanken-Achterbahn.

Herbstlaub

Gut gefällt mir, dass diese Blog-Kategorie hier ‚Gedankenzirkus‘ heißt. Manchmal komm‘ ich mir vor, wie ein Clown – so eine Art Pierrot, bei dem die eine Hälfte des Gesichts fröhlich und die andere traurig ist. Jetzt gerade hab ich auch eine leicht manische Phase; so richtig fröhlich bin ich nicht – eher nachdenklich, wenn ich mal von meinem Gedanken- und Gefühlschaos in der Natur oder mit der Hilfe von anderen Leuten ein bisschen runterkomme. Aber doch mehr positiv gestimmt bin ich zur Zeit.. Mich kreativ auszudrücken hilft übrigens auch, wie ich durch mein kleines Kunstprojekt dieses Naturclowns hier feststellen konnte:

kreativer Beitrag einer Verfasserin eines Blogbeitrags

Das war letztes Jahr ganz anders: beruflich hab ich da mal wieder einen Fehlschlag einstecken müssen. Angeblich passiert das Menschen mit bipolaren Störungen oder manischen Zügen häufiger – bei mir ist es auf jeden Fall so und bringt mich immer wieder zum Verzweifeln. Ich hab die – keine Ahnung wievielte – (10.?) Stelle angetreten in der Hoffnung, dass das doch endlich dauerhaft und solide was wird. Bin mit Angst da reingestartet und nun ja – es ist nicht dauerhaft was geworden. Vielleicht versuche ich mal in einem persönlichen Schreibprojekt zu reflektieren, was da genau passiert ist.. Hm, und dann erstmal Euphorie – ich bin wieder draußen aus dem starren System und konnte ja meinen Nebenjob aus dem Selbsthilfebereich gleich in eine Vollzeitstelle umwandeln. Doch plötzlich: Trauer, Schuldgefühle, Scham, Depression, Panik im Kopf: Du hast es wieder nicht geschafft – dem Bild der Leistungsgesellschaft nicht entsprochen, hast versagt, bist gesellschaftlicher Abschaum → ab in die Psychiatrie; zum zweiten Mal und diesmal ging es bis in die Geschlossene. Sehr schwierige Zeiten ~ doch lächelt mich der traurige Clown da etwa an? Andrea, du bist einem Irrtum aufgesessen! Du und dein Leben, ihr seid auch etwas wert, wenn ihr nicht vermeintlich (?) gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen in Bezug auf Arbeitsmoral entsprecht. Ist das die Quintessenz?

Die Erkenntnis, dass ich etwas wert bin und mich ein Stück weit frei davon machen darf, meinen Selbstwert aus meinen früheren Schulnoten und meiner jetzigen Leistung im Beruf zu beziehen? Dass ich gut genug bin, so wie ich bin?

 

Der weise Clown (Andrea Shelda, 18. Mai 2020)

Pierrots Kopf – zweigespalten

eine Seite lacht, die andere weint.

Wo ist die Mitte?

Die Balance zwischen Glückseligkeit und Freude

und tiefster Trauer und Verzweiflung?

Gibt es dazwischen ein kleines Lachen ~

ein Aha?

einen Moment:

Du bist

die, die du bist

ein Mensch auf der Suche

danach

sich zu befreien

von einem Bild

des harten Arbeiters, der existieren darf.

Ist da viel~leicht ein lächelndes Etwas,

das einfach ist

lebt

und Mensch sein (darf)

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