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Glücklicher Eigenheimbeseitzer, Minimalismus auf Reisen

Was mir das Verlassen der Komfortzone über meine Bedürfnisse im Leben gezeigt hat

Wir haben Björn über seinen Instagramkanal kennengelernt, der über seine Bilder nur so vor Natur- und Outdoormomenten trotzt – ein Reisender und Entdecker. Ihn zieht es immer wieder im Abenteuermodus raus in die Natur. Einerseits, um einen Ausgleich zu seinem Job als Bauingenieur zu erleben, und andererseits, um seinen Blick auf das Wichtige zu richten – für ihn persönlich pure Selbstfürsorge.

Glücklicher Eigenheimbeseitzer, Minimalismus auf Reisen

Glücklicher Eigenheimbesitzer – reisender Minimalismus

Worauf kommt es im Leben wirklich an? Obwohl ich es heute zu wissen glaube, stellt sich mir diese Frage immer wieder. Jeder Mensch hat dabei andere, individuelle Bedürfnisse, die sich vollkommen voneinander unterscheiden. Was aber Vielen passieren kann, unter anderem auch mir, ist, dass sie diese Bedürfnisse im Zuge des Alltags und des durch Arbeit und Familie entstehenden Stresses aus den Augen verlieren.

Viele stürzen sich dadurch in Konsum und kaufen sich Dinge, Lebensmittel und Luxusgüter, die sie gar nicht benötigen. So ging es auch mir. Während andere dadurch zufriedener wurden, wurde ich immer unglücklicher. Wie konnte das sein? Zu dieser Zeit konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, um überhaupt zu verstehen, was mir fehlte. Oder eher was mir zu viel war? 

Der Zufall wollte es, dass sich 2018 für mich die Möglichkeit ergab, den Jakobsweg zu gehen.

Ich wusste schon länger, dass mir etwas fehlte und so dachte ich, dass ich es doch dort finden könnte. Somit entschied ich mich für die klassischste aller Routen, den Camino Frances. Im Zuge der Recherchen wollte ich also das benötigte Budget ermitteln. Pro Tag sollen das 30 Euro sein. Das wären für die veranschlagten 30 Tage 900 €! Ich hatte zwar eine gut bezahlte Stelle und Ersparnisse, aber irgendwie wollte ich dieses Geld nicht aufwenden, zumal es für qualitativ fragwürdige Pilgermenüs und überfüllte Gruppenschlafräume veranschlagt war. Immerhin gehen diesen Weg jährlich rund 2 Mio. Menschen! Ein Gefühl sagte mir, dass ich mich auf dieser doch spirituellen Reise in Genügsamkeit üben sollte. So beschloss ich mich dazu, Diogenes gleich, unterwegs zu zelten und maximal (nicht ganz Diogenes) von 10 € am Tag zu leben. 10 € von denen ich also täglich Essen, Trinken und auch mal eine Unterkunft finanzieren musste.

Mein Geldexperiment wirkte schnell – und das auf positive Art.

In Nordspanien angekommen, stellte sich gleich zu Anfang raus, dass, auch wenn ein Kaffee mit 1,50€ günstig ist, er doch ein Luxus ist, den ich mir nicht jeden Tag gönnen kann, wenn ich mich an meine auferlegte Askese halten will. Drei Tage lang musste ich ohne einen Kaffee auskommen, den wir doch alle täglich tassenweise konsumieren, als wäre er nichts Besonderes. Das ging so lange, bis mir auf einem Marktplatz ein Hippiepaar einen frisch gebrühten Kaffee zum Mittag anbot. Ich wusste erst nicht, ob ich Lust hatte, mich dazu zu setzen, aber letztendlich überwiegte die Neugierde.

Und ich kann Euch sagen: Dieser Kaffee war bis heute der beste Kaffee, den ich je trinken durfte. Nicht nur, dass ich nach drei Tagen meinen ersten Kaffee trinken konnte, auch die Geste an sich, jemanden vollkommen Fremdes einzuladen und sich zusammenzusetzen und kennenzulernen, war ein schöner Moment. In einem Café hätte ich mich sicherlich auch nett unterhalten können, aber würde ich mich heute so daran erinnern?

Mein Geldexperiment sprach sich relativ schnell unter den Pilgern rum und so wurde es ein Wettkampf zwischen mir und meinen Mitpilgern, angebotene Kaffees und Biere auszuschlagen, die sie mir immer wieder abends anboten. Ich würde sagen, dass es am Ende Unentschieden stand.

 

Wanderweg entlang des Jakobweges, eisiger Maitag mit Küstenwind

Entlang des Jakobsweges in Küstennähe, alles was ich brauche, trage ich auf meinem Rücken

Mein Reisegepäck auf das Mindeste reduziert

Mein Reisegepäck auf das Mindeste reduziert

Erkenntnisse entlang des Jakobsweges

Meine erste Erkenntnis auf dem Weg war also, dass Verzicht auf etwas Alltägliches dieses wieder zu etwas Besonderen machen kann. Bis heute denke ich beim Kaffeetrinken an diesen Moment und freue mich, so empfinden zu können.

Die zweite Erkenntnis ereilte mich eigentlich schon davor, jedoch wurde mir im Laufe des Weges mehr und mehr bewusst, wie wertvoll diese bis heute ist. Am zweiten Tag meiner Reise traf ich auf eine Klosterhelferin in Roncesvalles, mit der ich mich unterhielt. Die Frage, ob ich im Kloster schlafen wolle, verneinte ich mit der Antwort, dass ich mein Zelt dabei hätte. Die Helferin hob die Arme zum Gruße und sagte: „Guck dich an, bist gesund, und hast alles dabei was du brauchst. Du bist ein freier Mann!“ Auch dieser Spruch ist bis heute in meinen Gedanken verankert.

Denn Zelt und Schlafsack waren meine Befreier vom stetigen Wettrennen der Pilger um Herbergsplätze. So ziehen viele bereits morgens um halb 5 aus den Herbergen aus, um möglichst um 12 bereits die nächsten Schlafplätze sicher zu haben. Durch meine Unabhängigkeit konnte ich frei entscheiden, wann ich aufstand, wann ich mich zur Siesta in den Schatten legte und wann ich abends Feierabend machte. Wenn ich duschen wollte, kehrte ich in einer kirchlichen Herberge ein und bat um einen Zeltplatz im Garten. Auf diese Weise schlief ich vor verlassenen Kirchen, auf Bergen, sah immer wunderschöne Sonnenaufgänge direkt vom Bett aus und durfte auch zwei gruselige Nächte vor einer alten Ziegelei oder an einem verlassenen Haus erleben. Auch beobachtete ich nach zwei Wochen, dass ich keinerlei Termindruck mehr verspürte. Ich kam eben dann am Etappenziel an, wenn es soweit war und gefiel es mir nicht, ging es weiter.

Im Wenigen zeigt sich, wie viel wir eigentlich besitzen.

Der schönste dieser Momente war auf einem Hügel, als ich mit einem Pilgerfreund Mittagspause kurz vor Logrono machte. Wir setzten uns schweigend hin (er sprach kein Englisch, ich kein Französisch, es gab bei uns nur Hand und Fuß), als hinter uns schon ein Spanier aus seiner Werkstatt kam und uns jedem ein eisgekühltes alkoholfreies Bier in die Hand drückte. Ein echtes Geschenk zum Mittagessen! Wir saßen still da, aßen und schwiegen dabei und beobachteten 45 Minuten die Schwalbenschwärme auf der Jagd, ohne an etwas zu denken. Weder an die nächste Stunde, den nächsten Abend schon gar nicht den nächsten Tag.

In unserer hektischen Welt sind wir darauf gebrieft, immer von Schritt zu Schritt, von Termin zu Termin zu denken und starren immer auf Bildschirme. Einfach mal ins nichts zu starren und der Natur beim Natur sein zuzusehen, ohne zu reden und nachzudenken, das ist heute ein wahres Geschenk geworden und ich wünsche jedem, diesen Moment mal zu erleben.

Ich war frei dadurch, mich von meinem Anspruch auf ein festes und sicheres Bett gelöst zu haben.

Diese gehäufte Zahl an Glücksmomenten habe ich nur erhalten können, weil ich einen Schritt zurück gegangen bin. Ich habe irgendwie meine Bedürfnisse und Ansprüche reduziert, habe meine gewohnte Umgebung verlassen. Andererseits aber auch nicht, denn ich hatte für 30 Tage nur 5 Kg Grundgepäck dabei und trotzdem nichts vermisst. Mein Zelt habe ich tagsüber getrocknet und meinen Schlafsack gelüftet, so konnte ich immer warm und trocken schlafen, auch heimelig war es in meinem Kokon. Zu Essen hatte ich trotz des Budgets immer genug, Brot und Gemüse, ab und zu eine Chorizo. Ein Küchlein, eine Dose Bier oder frisches Obst kosten nicht viel. Wasser gab es umsonst in jedem Dorf. Bücher gab es zu genüge umsonst entlang des Weges. Alles, was ich zum Überleben brauchte, passte in meinen Rucksack. Mehr brauchte ich nicht, um glücklich zu sein.

Und wenn es mir doch zu einsam wurde, ging ich in eine Herberge und hatte so viel (schnarchende) Gesellschaft, dass ich die nächsten 5 Tage wieder geheilt war und mich auf mein Zelt freute.

Reduktion der eigenen Ansprüche und das Verlassen der Komfortzone verändert den eigenen Blick.

Ich kann verstehen, dass eine Reduzierung der Ansprüche und das Austreten aus der Komfortzone für viele mit der Angst vor dem Ungewissen und des Loslassens verbunden ist. Doch kann ich nur dazu raten, mit kleinen Schritten damit anzufangen. Warum nicht mal für eine Nacht im Garten zelten, oder mal mit dem Rad die Eltern besuchen fahren, anstatt mit dem Auto? Einfach mal eine Woche lang nur eine bestimmte Menge Geld ausgeben oder nur von Vorräten leben und gucken was man vermisst. Am Ende weißt Du zumindest dein weiches Bett wieder mehr zu schätzen, oder aber eine warme Dusche, und bist stolz, etwas nur für Dich erreicht zu haben.

Mir half ein enthaltsamer Lebensstil, mich aus meiner Blase zu lösen, diese von außen zu betrachten und besser zu erkennen, was mir wirklich wichtig ist. Denn hätte ich all diese Kleinigkeiten erkennen können, wenn ich mich täglich für viel Geld in ein Mehrbettzimmer und Restaurants eingemietet hätte? Vermutlich nicht.

Deine Interesse am Wandern ist geweckt?

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