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Teilnehmerin mit Lastenfahrrad

Jutta aus München gibt einen Einblick in ihren von Corona geprägten Alltag

Du warst bereits in unserer Themenbroschüre “Unter besonderen Umständen”, die 2018 veröffentlicht wurde, als Themenpatin dabei. Wie ist es dir seitdem ergangen?

Die Depressionen begleiten mich ja schon seit über 30 Jahren. Das wird sich auch nicht von heute auf morgen ändern, aber ich werde immer mehr zu meiner eigenen Expertin.

Wie hat sich Dein Umgang mit der Erkrankung in den Jahren verändert? Was hat Dir besonders geholfen?

Ich lerne immer mehr, mich selbst einzuschätzen und rechtzeitig gegenzusteuern, wenn es schwierig wird. Bei mir geht das in etwa so:
1. Ich versuche erst alleine gegenzusteuern, also Dinge zu tun, die mir persönlich gut tun: rausgehen, was schönes unternehmen, ins Kino gehen, schaukeln oder was leckeres Essen.
2. Wenn das nicht hilft, frage ich Freunde oder Bekannte, ob ich ein bisschen Zeit mit ihnen verbringen kann: einfach da sein und am Familienleben teilnehmen, miteinander reden oder spielen, etwas zusammen unternehmen.
3. Wenn all das nicht ausreicht, hole ich mir professionelle Hilfe.

Ich kann inzwischen auch ohne fremde Hilfe einiges auffangen. Früher brauchte ich bei Schwierigkeiten immer Leute um mich herum. Ich bin froh, dass es jetzt auch so geht, weil ich leider manchen zu viel zugemutet habe und sie sich deshalb von mir distanziert haben.
*Anmerkung: Dies ist Juttas ganz persönlicher Weg und soll nicht dazu verleiten, Hilfe bei anderen nur zögerlich zu suchen.*

Da ich auch offener mit meinen Freunden und Bekannten geworden bin, können diese mich besser verstehen und ich sie auch. Ich bin froh, dass auch sie so offen sind und mir sagen, wenn es ihnen zu viel wird. Wenn ich weiß, woran ich bin, kann ich auch eher mal kurzfristig zu Besuch kommen oder anrufen.

Hat sich, Deiner persönlichen Wahrnehmung nach, in den letzten Jahren etwas im Umgang der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen geändert?

Also von meiner Seite her hat sich viel geändert. Da ich jetzt offener über meine Erfahrungen spreche, bekomme ich auch tiefer gehende Rückmeldungen und nicht nur Platitüden. Ich denke schon, dass sich nicht nur in meinem Umfeld etwas geändert hat. Die Veränderung hat im Kleinen begonnen und ich hoffe, dass es noch größere Kreise ziehen wird, denn es ist noch Luft nach oben.

 

Tandemteam der MUT-TOUR, Aktionsprogramm Entstigmatisierung Depression
Teilnehmerin mit Lastenfahrrad

Wie man sieht, hat Jutta das Amüsieren nicht verlernt 🙂

Wie sorgst Du in den aktuellen Zeiten für Dich, die aufgrund der Corona-Pandemie von starken Alltagseinschränkungen geprägt sind?

Ich war vor Corona schon sehr oft krank dieses Jahr. Meine Geduld und Strapazierfähigkeit wurde dadurch schon sehr auf die Probe gestellt, denn ich konnte auch nicht raus und war teilweise schlecht zu Fuß unterwegs. Somit habe ich schon erste Erfahrungen mit dem “Hüttenkoller” gesammelt. Ich bin froh, dass ich spazieren gehen kann, und habe mit einem Augenzwinkern festgestellt, dass ich mit meinem Fahrrad den entsprechenden Abstand zu meinen Mitmenschen erzwinge :-D.
Ich habe ein Liege-Dreirad und so vorne und hinten sowieso mehr Fahrzeug, wodurch die meisten seitlich mehr Abstand als zu normalen Fahrrädern einhalten. Also ist der Sicherheitsabstand gewährleistet :-).
Anstatt der persönlichen Treffen habe ich jetzt mit meinen Freundinnen auch geskypt. Ich kannte mich vorher damit noch nicht aus, finde aber, dass es eine gute Alternative zum Telefonieren ist. So sieht man sich wenigstens, auch wenn man sich nicht persönlich treffen kann.
Außerdem habe ich jetzt viel Zeit, um Pralinen und andere Leckereien herzustellen.

Du hast erzählt, dass Du Dir momentan einen Stundenplan schreibst. Wie hilft Dir dieser im Moment?

Da ich ein „strukturschwaches Gebiet“ 🙂 bin und die letzten Wochen schon auf dem Sofa versackt war, musste eine Lösung her. Ich habe gemerkt, dass mir das “Dauerlümmeln” auf dem Sofa nicht gut tat. Daher habe ich mir etwas überlegt, um meinen Tag zu strukturieren. Den Stundenplan fand ich dann am sinnvollsten. Wichtig dabei war mir, dass sich in diesem nicht nur die Pflichten eines jeden Tages wiederfinden (wie Putzen oder Haushalt), sondern mein gesamter Tagesablauf abgebildet wird.
Wie viele andere auch, arbeite ich momentan Corona-bedingt von Zuhause aus. Der Arbeitsalltag hilft mir auch dabei, die Struktur meines Tagesablaufs aufrechtzuhalten.

Gibt es etwas das Du unseren Leser*innen mitgeben möchtest?

Gerade in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen ist es wichtig, dass du gesund und fit bleibst und bei aller (gefühlten) Anstrengung nicht aufgibst! Der Ausnahmezustand endet auch wieder und wir können das zusammen durchstehen. Lest auch gerne weitere Erfahrungsberichte des MUT-MACHER Blogs.

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