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Fragen-Ping-Pong: Corinna und Bettie im Gespräch über ihre Depressionserfahrung

Corinna und Bettie sind zwei Teilnehmerinnen der MUT-TOUR aus Hannover, die sich auch privat immer wieder zusammenfinden. Für uns haben sie ein MUT-TOUR Fragen-Ping-Pong veranstaltet. Lest hier mehr zu ihren individuellen Erfahrungen mit Depression.

 Wie bist Du zur MUT-TOUR gekommen?

Ich habe eine tolle Kollegin und inzwischen auch Freundin. Sie hat mir das erste Mal 2017 von der MUT-TOUR erzählt, nachdem sie auf dem Mitmach-Wochenende war, und damit mein Interesse geweckt. 2017 und 2018 hat sie dann jeweils an der MUT-TOUR teilgenommen und auch an Herbst- bzw. Wintertreffen. Im Nachgang hat sie mir immer ausführlich davon berichtet. Es brauchte bei mir aber den richtigen Zeitpunkt. Anfang 2019 hat sie mich dann erneut gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ebenfalls bei der MUT-TOUR teilzunehmen. Dieses Mal fühlte es sich für mich gut an, woraufhin ich sofort eine Email an die Projektleitung geschrieben habe.

Ich war 2015 beim Patientenkongress Depression in Leipzig und habe dort an einem Info-Workshop der MUT-TOUR teilgenommen. Ich hatte den Workshop im Vorfeld im Programm entdeckt, fand die Idee spontan genial und wollte mehr wissen.

 

Was hat die Teilnahme an einer MUT-TOUR Etappe bei Dir ausgelöst?

Stolz!
Mir hat die Teilnahme einen unglaublichen Energieschub gegeben. Ich habe, alleine durch die sieben Tage tägliches Fahrradfahren, aber auch durch die vielen (Presse-)Kontakte, etwas geleistet, zu dem sicher nicht jede*r, schon gar nicht in meiner Situation, fähig ist. Ich habe das aber vor allem mit und in meinem Team geschafft, die mich auch durch Tiefs und Selbstzweifel getragen haben. Ich habe mit der MUT-TOUR eine Gruppe Menschen getroffen, die zusammenhalten und gemeinsam ganz viel bewegen. Dafür bin ich unglaublich froh und dankbar.

Da bewege ich mich auf einer Skala zwischen Euphorie und Erschöpfung. Euphorie, weil ich mich unendlich freue, dass ich Kraft und Mit habe, für das Thema öffentlich einzustehen. Erschöpfung, weil ich durch mangelnde Rückzugsmöglichkeiten, mehr an meine emotionalen als an meine körperlichen Grenzen komme. Für mich hat sich herauskristallisiert, dass ich an einer Tandem-Etappe nur teilnehmen sollte, wenn ich psychisch widerstandsfähig genug bin. Einfach damit ich die Einschränkungen, die mit dem Touralltag einhergehen, nicht nur irgendwie aushalten kann, sondern diese sogar als Abenteuer schätzen kann Deswegen hat die Teilnahme im Endeffekt bei mir die Verbesserung des Fokusses auf mein eigenes Befinden und eine verbesserte Grenzsetzung bewirkt.

Was ist Deine Motivation, Dich mit Deinen persönlichen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu wenden?

Ich habe seit der ersten Diagnosestellung kein Geheimnis aus meiner Erkrankung gemacht. Ich habe aber sehr wohl gefiltert, wem ich wie viel erzähle. Ich wollte mich nie mit der Erkrankung verstecken. Ich habe aber eben auch das Glück, ein tolles und verständnisvolles Umfeld, sowohl privat als auch beruflich, zu haben. Daher brauche ich auch keine Angst z.B. vor Ausgrenzung oder gar vor einer Kündigung zu haben. Ich weiß aber sehr wohl, dass nicht jede betroffene Person dieses Glück hat. Und für all diese ist es mir wichtig, die Erkrankung Depression in die Öffentlichkeit zu tragen und zu etwas Alltäglicherem zu machen.

Als Angehörige eines psychisch erkrankten Menschen habe ich mich sehr früh mit dem Thema “Verheimlichen, Verleugnen und Unter-den-Teppich-kehren” beschäftigen müssen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieses Verhalten sehr viel Energie verbraucht und zu Irritationen im Umfeld führen kann und es in der Regel auch tut. Als Erwachsene und selbst Erkrankte stand für mich von Anfang an fest, dass ich einen anderen Weg beschreiten möchte.
Ich bin deshalb von Anfang an offen mit meiner Erkrankung umgegangen, musste jedoch feststellen, dass ich mein Umfeld dadurch häufig überfordert habe. Das ist für mich jedoch umso mehr Motivation, das Thema psychische Erkrankungen in die Öffentlichkeit zu tragen, um Scham und Berührungsängste für die Zukunft zu reduzieren.

 

Was hast Du mit dem Thema Depression zu tun?

Ich bin Angehörige eines seit mehr als 40 Jahren an einer bipolaren Störung erkrankten Menschen. Dazu bin ich selber seit vielen Jahren an einer chronisch rezidivierenden Depression erkrankt.

Ich bin als Angehörige eines Menschen mit Depressionen von dem Thema betroffen und bin selber auch chronisch an Depressionen erkrankt.

 

Wie würdest Du eine Depression bildlich beschreiben?

Ich habe kein konkretes Bild für meine Depressionen. Es gibt ja den schwarzen Hund und andere Bilder, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Ich kann nur beschreiben, wie es sich für mich anfühlt. Wenn ich in einer depressiven Episode feststecke, fühle ich mich von der Welt abgeschnitten, als befände ich mich unter einer Smogglocke. Ich bekomme alles außerhalb mit, aber es erreicht mich doch nicht richtig. Diese Smogglocke macht es ungleich schwerer für mich, aktiv zu werden. Sie raubt mir Energie und verschleiert meine Sicht auf mein Umfeld.

Ich habe spontan ein kleines, zusammengekauertes Kind vor Augen, das auf den Betrachtenden verängstigt, unendlich traurig und hilflos wirkt. Parallel dazu sehe ich einen stehenden Menschen mit hängendem Kopf, der immer mehr in sich zusammen sackt, bis er wie ein Fötus am Boden liegt – hilflos, machtlos und am Abgrund seiner Seele.

 

Gibt es jemanden in Deinem Umfeld, der/die selbst eine psychische Erkrankung hat? Und wie wirkt sich Deine eigene Krankheitserfahrung auf den Umgang mit diesem Menschen aus?

Da gibt es mehrere Menschen. Zunächst erst einmal meinen Onkel, für den ich seit kurzem die gesetzliche Betreuung übernommen habe. Er ist an einer bipolaren Störung erkrankt. Ich habe nie eine manische Phase bei ihm erlebt, kenne aber sehr genau seinen depressiven Zustand. Durch meine eigenen Depressionserfahrung fällt es mir viel leichter, Verständnis aufzubringen. So ist mir zusätzlich aufgefallen, dass ich eher zu ihm durchdringe als andere ihm Nahestehende. Auf mich wirkt es, als könnte er das, was ich sage bzw. vorschlage, leichter annehmen, vermutlich, weil er sich eher verstanden fühlt. Seit einigen Wochen lebt er in meiner Nähe. Dadurch verändert sich unsere Beziehung gerade sehr und wird stärker. Das tut uns beiden gut. Grundsätzlich habe ich, denke ich, eher Verständnis und eine geschärfte Wahrnehmung dafür, wenn jemand nicht so “funktioniert”, wie es die Gesellschaft erwartet.

Ja, habe ich. Ich habe das Gefühl, dass ich geduldig und empathisch geworden bin und keine Erwartungen an die Person habe, von denen ich ahne, dass er/sie sie in der Erkrankung nicht erfüllen kann, denn das kann unnötigen Druck auslösen. Für mich ist es wichtig, meinem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, dass er/sie in der Erkrankung “OK” ist und ich ihn/sie so respektiere, wie er/sie gerade ist.

 

Was hat Dir dabei geholfen, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Um ehrlich zu sein, bei der ersten schweren Episode war absolute Verzweiflung mein Motor. Ich war zwar immer wieder bei meiner Hausärztin und habe von meinen Schlafstörungen, Schmerzen und Energielosigkeit berichtet, aber dass ich andere Hilfe als nur Termine mit ihr brauche, hat sie mir zu dem Zeitpunkt nicht gesagt. Irgendwann war ich dann so am Boden, dass ich selber aktiv geworden bin und für eine Reha gekämpft habe.

Ich habe aus irgendeinem Grund einen extremen Überlebenswillen. Als ich während einer sehr schweren Episode gemerkt habe, dass meine Gesundheit und mein Leben tatsächlich durch die Begleiterscheinungen der Erkrankung bedroht sind, hat mich dieser Überlebenswille dazu gebracht, Hilfe zu suchen. Als sie sich mir dann bot, konnte ich sie dann auch in Anspruch nehmen. Unterstützung hatte ich dabei auch von meinem Mann und meiner Hausärztin, die genau wie ich selber ganz klar geäußert haben, dass ich Hilfe brauche und auch das Recht habe, Hilfe zu suchen und anzunehmen.

 

Wie hat sich Dein erster Klinikaufenthalt angefühlt? Hast Du nachhaltig etwas aus dieser Zeit mitgenommen?

Der erste Klinikaufenthalt war lebensrettend für mich, da ich zu dieser Zeit starke Suizidgedanken hatte. Ich war dann erst einmal erleichtert, dass ich an einem sicheren Ort bin, wo im Notfall, Hilfe sofort verfügbar ist. Gleichzeitig hat mich aber das ganze Setting zunächst total verunsichert und verängstigt. Mir konnte damals eben keiner sagen: “Wenn du jetzt dies machst und das Medikament nimmst, dann bist du in zwei Wochen oder so wieder auf dem Damm”. Letztendlich sehe ich das Team im Krankenhaus als Begleitende und Hilfeleistende auf meinem Genesungsweg. Wo der Weg lang führt und wie lang er ist, muss ich aber mit Hilfe der Begleitung alleine heraus finden. 

Bei der Begleitung durch Ärzte hat mir besonders eine aktivierende und wohlwollende Haltung geholfen. So richtete einmal ein Oberarzt durch seine Worte meinen Blick auf meine eigenen Stärken und meine Handlungsfähigkeit. Diese Art von Haltung, ermutigte mich damals sehr. Es half mir zu erkennen, dass auch ich aktiv werden kann und ich bereits einige verhaltenstherapeutische Werkzeuge in mir trage.

Und ich habe aus meinem ersten Klinikaufenthalt eine sehr enge Freundin mitgenommen. Die Freundschaft hat sich nach der Entlassung entwickelt und gefestigt und hält seit vielen Jahren bis heute.

Mein erster Klinikaufenthalt war von mir selbst initiiert worden. Anfangs habe ich mich verzweifelt, traurig, hoffnungslos und von der Schwere der Erkrankung einfach überwältigt gefühlt. Ich habe mich dort größtenteils nicht richtig wahrgenommen gefühlt. So hatte ich bei der Aufnahme nur um eine Krisenintervention gebeten, weshalb ich nur Gruppentermine und keine Einzelgespräche hatte. Das hat mich noch zusätzlich verunsichert. Trotzdem habe ich etwas Positives für mich mitnehmen können. Ich habe nämlich festgestellt, dass mich Progressive Muskelentspannung und Phantasiereisen mit Elementen aus dem Autogenen Training sehr ansprechen. Daraus resultierte, dass ich eine Ausbildung zur Entspannungspädagogin gemacht habe, was mir bis heute sehr viel Freude bereitet. Ich habe außerdem die Erkenntnis gewonnen, das ich scheinbar mit einer ruhigen und ausgeglichenen- Stimme gesegnet bin, so dass Menschen, denen ich Entspannung vermittle, sich gut aufgehoben und entspannt fühlen.

 

Welche Formen der Selbsthilfe nutzt Du für Dich?

Ich folge in den sozialen Medien einigen sogenannten Mental-Health-Accounts. Hier bekomme ich immer wieder Input und Anregungen. Auch höre ich Podcasts zu psychologischen Themen. “Klassische” Selbsthilfegruppen besuche ich nicht, jedoch habe ich inzwischen viele Kontakte zu anderen Betroffenen und der persönliche Austausch mit ihnen hilft mir immer wieder sehr.

Ich bin zwar in keiner echten Selbsthilfegruppe, habe mir aber im Laufe der Jahre einiges erarbeitet, von dem ich weiss, dass es mir gut tut und mich auch gut durch eine depressive Episode bringen kann. Dazu gehört Spazieren gehen und Fahrradfahren, Gärtnern und Schreiben sowie Verabredungen mit anderen Menschen, um gemeinsam aktiv zu sein. Mir tun auch Gespräche mit Betroffenen gut, weil der Austausch viel einfacher und verständnisvoller abläuft. Ich habe für mich herausgefunden, dass ich, selbst wenn ich psychisch am Boden liege, Verabredungen einhalte, weil ich mein Gegenüber nicht enttäuschen möchte. Mit dieser Erkenntnis kann ich mich selbst ein wenig austricksen und selber helfen, wieder mit meinem Umfeld in Kontakt zu treten und mir selber etwas Gutes zu tun.

 

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Corinna als Tandem-Pilotin bei der MUT-TOUR 2019

Was tun Deine Angehörigen, um Dich während einer depressiven Episode zu unterstützen?

Mein Mann gibt mir heute das Gefühl, dass es in Ordnung ist, wenn gerade nichts geht. Er unterstützt mich, indem er mich immer wieder auf die Dinge hinweist, die eben doch gehen und für die ich in depressiven Phasen den Blick verliere. Auch hilft er mir aktiv dabei, herauszufinden, was in der jeweiligen depressiven Episode gerade hilfreich ist. So hat er mich z.B. dazu motiviert, mir hin und wieder die Hunde einer Freundin zum Spaziergang zu holen.

Wir mussten beide erst lernen einen Umgang mit meinen depressiven Symptomen zu finden. Früher hat er versucht mich anzutreiben. Jedoch löste das bei mir extremen Widerstand aus, da ich nicht das Gefühl hatte, ihm gerecht werden zu können.

Die Reaktionen meiner Angehörigen rangierten bei der ersten Erkrankung in einer Bandbreite von Ignoranz, Verleugnung und Vertuschung, Erschrecken, Sorge bis zu der einfachen Aussage “Ich bin immer für dich da”. Letztere Aussage kam von meinem Ehemann, der diese Aussage mit sehr viel Leben gefüllt hat und tatsächlich immer für mich da war und auch heute noch ist. Weil er die Möglichkeit dazu hatte, hat er während einer sehr schweren Erkrankungsphase seine Arbeit so strukturiert, dass er, bis es mir ab Mittags wieder gut ging, zu Hause war, um dort seine Büroarbeiten zu erledigen. Erst wenn er gesehen hat, dass es mir ein wenig besser ging, hat er seine Außendiensttermine wahrgenommen. Dadurch hat er mich sehr unterstützt und war buchstäblich für mich da.

 

Was wünschst Du Dir für Veränderungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen innerhalb des Hilfesystems?

Ich wünsche mir einen leichteren Zugang zu therapeutischen Angeboten. Gerade wenn Menschen in einer Krise stecken, ist es unglaublich schwierig, Hilfe zu suchen und zu finden. Da braucht es mehr Wissen über Therapieangebote, gerade bei Hausärzten. 

Es wäre auch schön, wenn eine Psychotherapie, wie z.B. auch die Physiotherapie, von einem Facharzt verordnet werden könnte, so lange, wie Bedarf von ihm gesehen wird. Derzeit ist ein mehr oder weniger aufwändiges Antragsverfahren erforderlich und die Therapiestunden sind begrenzt. Auch die Limitierung der Anzahl von Kassensitzen, finde ich überdenkenswert. Es gibt aus meiner Sicht nicht unbedingt einen Mangel an Psychotherapeuten, sondern vielmehr einen Mangel an Kassensitzen. 

Insgesamt wünsche ich mir von allen Hilfeleistenden in unserem Gesundheitssystem einen sensiblen Umgang mit psychischen Erkrankungen. Ich selber wurde, bei einer Notfallaufnahme wegen einer organischen Erkrankung, von der Schwester gefragt, warum ich denn Depressionen hätte, ich sei doch jung und habe alles. Hinzu fügte sie die Verwunderung, dass sie ja gar nichts davon merken würde. Meine Antwort war: “Warum habe ich dann Asthma? Es ist doch genug Luft zum Atmen da.” Dieser Spruch kursiert in den sozialen Medien und er ist mir zum Glück zum richtigen Zeitpunkt eingefallen.

Ich wünsche mir, dass die Verfügbarkeit von Therapieplätzen in Tages- und Rehakliniken größer wird und Erkrankte nicht lange Wartezeiten durchstehen müssen bis sie durch das Gesundheitssystem Hilfe bekommen. Ich wünsche mir auch, dass im Gesundheitssystem insgesamt, vor allem innerhalb der Ärzteschaft, eigene psychische Erkrankungen nicht als Makel empfunden werden und sich dadurch das medizinische System selbst mehr dieser Thematik öffnet. Außerdem wünsche ich mir, dass die Betroffenen selbst stärker in die (Weiter-)Entwicklung von Behandlungs- oder Therapiemethoden einbezogen werden.

Was wünschst Du Dir für Veränderungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen innerhalb des Hilfesystems?

Ich wünsche mir, dass keiner Angst oder Unbehagen verspürt, mich zu fragen, wie es mir geht. Ich weiß darauf zwar oft auch keine Antwort, aber die (ehrlich gemeinte) Frage zeigt Interesse und kann zum Gespräch anregen. Habt keine Angst davor, auch jemanden mit Depressionen nach seinen Gefühlen zu fragen! Nicht immer können wir darauf antworten, aber es ist wichtig, dass wir auch in einer Krankheitsphase lernen, Gefühle wahrzunehmen. Werde ich nämlich nicht gefragt, hinterfrage ich sofort, ob mein Gegenüber überhaupt Interesse an mir hat. Und das löst bei mir ungute Gefühle aus.

Ich wünsche mir sehr, dass die Tatsache der Erkrankung nicht angezweifelt wird und ich keine Vorwürfe und “schlauen”, leicht daher gesagten Ratschläge bekomme. Außerdem wünsche ich nicht nur mir, sondern eben gerade auch den Mitmenschen einen mutigeren und entspannteren Umgang miteinander, der nicht von Berührungsängsten auf beiden Seiten überschattet wird. Ich wünsche mir, dass die gesunden Mitmenschen mutiger sind, in Phasen, in denen es mir schwer fällt, Kontakt aufzunehmen, selbst auf mich zu zu gehen und die Kraft aufzubringen, auf die Frage “Wie geht’s dir?” eine ehrliche Antwort zu bekommen. Empathie und gegenseitiges Verständins wären für mich der Hit.

Hast Du das Gefühl, dass die derzeitigen Einschränkungen aufgrund der Covid19-Pandemie Deiner seelischen Gesundheit eher zuträglich oder eher abträglich sind? Wie äußert sich das?

Ich bin da zwiegespalten. Zum Einen muss ich jetzt kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn ich nur zu Hause rumhänge und wenig aktiv bin. Das ist schließlich gerade das Beste, was jeder Mensch tun kann. Aber eigentlich tun mir die Einschränkungen nicht gut. Mir fehlen gewohnte Routinen. Zusätzlich neige ich sowieso schon zu sorgenvollen Gedanken. Im Moment ist es ungleich schwerer, diese realistisch einzuschätzen und mich nicht davon vereinnahmen zu lassen.

Das schlimmste aber ist für mich die Kontaktbeschränkung. Ich brauche mehr Menschen um mich, als nur meinen Mann. Für mich ist der Kontakt mit Freunden und Familie auch unglaublich wichtig. Hinzu kommt, dass Telefonate und auch Videochats kein ausreichender Ersatz für mich sind, da ich ein sehr haptischer Mensch bin. Mir fehlt es schmerzlich, auch mal jemanden außer meinen Mann in den Arm zu nehmen bzw. von jemand anderem in den Arm genommen zu werden. Zudem bin ich persönlich sehr von der Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen getroffen worden. Zum Zeitpunkt der ersten Maßnahmen Mitte/Ende März habe ich mich zur stationären Therapie in der Klinik befunden. Die Station wurde innerhalb von zwei Tagen sehr plötzlich geschlossen und die Therapie damit abgebrochen. Ich versuche dennoch zuversichtlich zu bleiben!

Ich habe den Eindruck, dass mir die Kontaktbeschränkungen gut tun. Ich fühle mich nicht verpflichtet, all meine sozialen Kontakte ständig aufrecht halten zu müssen. Dadurch fühle ich mich entlastet und weniger vom Alltag gestresst. Ich kann daher Einzelkontakte, wie das Interview jetzt mit Corinna, deutlich mehr genießen und wertschätzen. Während ein Großteil meines Umfeldes darunter ächzt und stöhnt, vermeintlich nichts mehr machen zu dürfen, genieße ich es, Zeit für Aktivitäten zu haben, für die ich im normalen Alltag nie so viel Zeit zur Verfügung hätte. Ich habe zum Beispiel jetzt die Muße, mich aufs Fahrrad zu setzen und eine Fototour zu machen, weil ich nicht unter einer privaten Terminlast leide. Allerdings würde ich gerne mal wieder zum Friseur gehen.

Bettie bei der ersten Etappe MT17

Bettie während ihrer Tandem-Etappe 2017

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