Blog

Leo sitzt mit der Gitarre auf einem Sofa, Ani neben ihm mit den Füßen auf seinen Beinen.

Mit Musik gegen das Schweigen – ME & THE LION im Interview

Wir hatten die Freude, mit Ani und Leo von der Band ME & THE LION zu sprechen. Sie sehen Musik als eine Brücke zur mentalen Gesundheit und setzen sich mit ihren Liedern bewusst dafür ein, offener mit psychischen Erkrankungen umzugehen. Im Interview erzählen sie, wie es zu diesem Projekt kam, was sie selbst für Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gemacht haben und wieso mentale Gesundheit ein Schulfach werden sollte.

Hallo Ani und Leo! Eure Band ME & THE LION ist noch jung, aber ihr seid beide schon lange in der Musik zuhause. Wann habt ihr angefangen?

Leo: “Ich bin quasi im Tonstudio meines Onkels aufgewachsen. Seit ich neun Jahre alt bin, spiele ich Schlagzeug, später kam dann noch Gitarre dazu und der ganze Bereich Tontechnik und Audio Engineering. Ani singt bereits seit sie vier Jahre alt ist und hat eine Musical-Ausbildung absolviert. Mittlerweile haben wir ein eigenes Tonstudio in Rostock, in dem wir Musik, Hörbücher und Werbung produzieren und Ani Gesangsunterricht gibt. So haben wir unsere Leidenschaften zum Beruf gemacht.“ 

Ani und Leo stehen nebeneinander an einer U-Bahn-Station, der Blick fällt durch den Zwischenraum zweier Bahnabteile auf die beiden

Ani erhält die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Für sie ist das erstmal eine große Erleichertung: „Die Erkenntnis, dass die Erkrankung behandelbar und heilbar ist, veränderte mein Leben grundlegend. Seitdem möchte ich es von allen Dächern schreien, denn es gibt viel zu wenig Aufklärung darüber!“

Leo sitzt mit der Gitarre auf einem Sofa, Ani neben ihm mit den Füßen auf seinen Beinen.

Leo und Ani haben ihre Leidenschaft für Musik zum Beruf gemacht. Nun setzen sie sich mit ihrer neu gegründeten Band ME & THE LION für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ein.

Wie ist es zur Gründung von ME & THE LION gekommen?

Ani: “Unsere Geschichte begann bei einer Musical-Produktion von Faust, wo ich das Gretchen sang und Leo Schlagzeug spielte. Als Leo mich fragte, ob ich auch eigene Songs schreibe, habe ich ihm das Lied “Let the Rain come” gezeigt. Das war der Beginn unserer musikalischen Zusammenarbeit.

Doch erst nach meiner Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung ist mir klar geworden, worum es in meinen Songs eigentlich geht: nämlich um psychische Erkrankungen, die nicht nur mich, sondern auch 18 Millionen Menschen allein in Deutschland betreffen.

Die Diagnose war für mich eine riesige Erleichterung. Erst dadurch habe ich realisiert, dass meine Symptome eine normale Reaktion auf abnormale Ereignisse sind, und nicht meine Identität bestimmen. Die Erkenntnis, dass die Erkrankung behandelbar und heilbar ist, veränderte mein Leben grundlegend. Seitdem möchte ich es von allen Dächern schreien, denn es gibt viel zu wenig Aufklärung darüber!

Als sich dann jemand aus meinem nahen Umfeld suizidiert hat, stand der Entschluss fest: Wir wollen aktiv werden! Leo hat mir dann auch den Mut gegeben, das Thema wirklich offen zu kommunizieren.“ (Infos und Hilfe zu Suizid: AGUS Angehörige um Suizid).

Leo: “Psychische Erkrankungen sind im Bereich Kunst und Musik zwar bekannt und verbreitet, aber wir wollten einen Schritt weiter gehen.  Deshalb schlug ich Ani vor, das neue Bandprojekt in den Dienst der Aufklärung und Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu stellen. Wir dachten, wenn schon dazu stehen, dann richtig. Also machten wir uns auf die Suche nach einem passenden Bandnamen. Schnell kam uns der Löwe als Metapher für Mut, Kraft und Zuversicht in den Sinn. Wir wollen das Gefühl vermitteln: mit einer psychischen Erkrankung bist du nicht allein.”

Ani: “Unsere Musik soll eine Brücke sein, die zum allgemeinen Bewusstsein für das Thema mentale Gesundheit beiträgt. Und Menschen auch ermutigt, sich Hilfe zu holen. Natürlich gibt es noch deutlich Luft nach oben bei der Anzahl von Therapieplätzen, aber es gibt daneben noch so viele andere Anlaufstellen und Hilfsangebote, die wenig bekannt sind.“

Was für Feedback bekommt ihr bisher für das Bandprojekt?

Ani: “Meine größte Sorge war zunächst, dass ich dem Thema nicht gerecht werden würde. Ich bin ja Expertin aus Erfahrung, nicht aus studiertem Wissen und ich habe mich oft gefragt, ob das reicht.
Wir hatten das große Glück, gleich zu Beginn unserer ME & THE LION-Reise bei einem Auftritt mit der International Mental Health Foundation (IMHF) in New York auftreten zu können. Dort kamen wir mit einigen Psychiater*innen ins Gespräch. Sie sagten, sie wären sehr dankbar für dieses Musikprojekt, das psychische Gesundheit in den Vordergrund stellt. Denn Musik würde oft auch dahin kommen, wo Sprache allein nicht hinkommt. Auch das Feedback der IMHF fiel durchgehend sehr wohlwollend und dankbar aus. New York war also ein bisschen die Bestätigung – ja, meine Erfahrung reicht, wir werden dem Thema gerecht.“

Leo: “Ich dachte ja, psychische Erkrankungen sind ein eher nischiges Thema. Aber jedes Mal, wenn wir mit anderen darüber sprachen, kamen Erfahrungsberichte zurück. Fast jede*r hat eine Verbindung zu dem Thema – entweder durch eigene Erfahrungen oder über Menschen im Umfeld. Es betrifft also doch sehr viele Menschen, man begegnet psychischen Erkrankungen überall.”

Ani hatte zunächst Sorge, dem großen Thema nicht gerecht zu werden Doch auf dem Premiere-Konzert von ME & THE LION in New York bekommen sie viel ermutigendes und dankbares Feedback.

Ani: “Das ist auch erstmal erschreckend, aber da sehe ich gleichzeitig auch ganz viel Potential. Denn wenn man merkt, dass man nicht allein ist und offen darüber sprechen kann, setzt schon ein Genesungsprozess ein. Dazu muss es normaler werden, über psychische Erkrankungen zu sprechen. So wie ein Schnupfen, sollte auch eine Depression kein Tabuthema mehr sein. Für mich war das Schweigen lange wie eine unsichtbare Last, eine Art Selbstgeißelung, die ich gar nicht bewusst wahrgenommen habe. Doch durch das Reden verlor die Erkrankung nach und nach ihre Macht über mich. Sie wurde “normaler” und es gab keinen Grund mehr, mich zu schämen. Ich habe erkannt, dass ich trotzdem (oder gerade deshalb) ein liebenswerter Mensch bin.” 

In euren Liedern werden ja eure konkreten Erfahrungen mit psychischer Erkrankung verarbeitet. Wie fühlt es sich an, mit der eigenen Geschichte in der Öffentlichkeit zu stehen? 

Ani: “Das ist schon herausfordernd. Zum Beispiel ist das Video zu unserer neuen Single Lose Yourself sehr ehrlich und ungefiltert. Es war als OneTake geplant, also eine durchgehende Kamera-Aufnahme ohne Schnitte. Eigentlich wollten wir zunächst nur Licht und Kamera testen und haben das Lied einmal durchlaufen lassen. Doch tatsächlich haben wir uns dann auch für diese erste Aufnahme entschieden, weil sie einfach so authentisch war. Auf “Veröffentlichen” zu klicken, hat mich schon sehr viel Mut gekostet, weil ich mich im Video auch sehr verletzlich zeige. Aber für mich ist klar, dass immer im Vordergrund steht, wofür wir das machen. Das sollte mehr wiegen als Angst vor Ablehnung oder Hatern.

Eine gute Freundin fragte mich, ob ich mir mit ME & THE LION nicht meine Karriere versaue. Denn leider kommt es immer noch vor, dass Menschen im Arbeitskontext Stigmatisierungen erfahren. Tatsächlich habe ich mir darüber aber vorher gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Für mich war die Erfahrung, dass es Hilfe für meine Erkrankung gibt, viel zu krass. Das zu vermitteln ist mir wichtiger.

Ich habe auch die Rückmeldung bekommen, wie stark und mutig ich doch sei, mich in der Öffentlichkeit so zu outen, aber ich habe das so nie gesehen. V​​ielmehr hatte ich das Gefühl: Wenn ich nicht darüber spreche, platze ich! Es war auch ein Akt der Selbsterhaltung, denn ich war viel zu lange stumm. Man könnte sagen, dass ich durch ME & THE LION meine Stimme zurückerobert habe. Jetzt kann ich offen über psychische Erkrankungen sprechen (und singen) – und möchte damit anderen Mut machen.“

Ani sitz am Klavier, hinter ihr steht Leo mit der Gitarre in der Hand

ME & THE LION holt sich Inspiration für ihre Musik bei einem Spaziergang an der Ostsee und in Gesprächen mit anderen Menschen.

Was hilft euch in schwierigen Lebensphasen?

Ani: „Wenn’s richtig duster wird, dann hilft nur Kontakt zu einem Menschen, dem ich vertraue und bei dem ich mich sicher fühle. Alleine ist das kontraproduktiv, ja sogar gefährlich, wenn das Gedankenkarussell dann zu einer Abwärtsspirale wird. Da kann es zu Kurzschlussreaktionen im Kopf kommen. Ein Gegenüber, der mich, beziehungsweise mein Nervensystem, in so einem Moment reguliert, hilft mir sehr.”

Leo: “Mir hilft Musik hören oder auch ein Gespräch mit einem guten Freund. Und auf die Gefahr hin, dass ich jetzt auch in der Stigmatisierungsecke lande – mir hilft tatsächlich oft, mal an die frische Luft zu gehen.” (beide lachen)

Was möchtet ihr den Menschen mit eurer Musik mitgeben?

Leo: „In erster Linie möchten wir mit unserer Musik das Gefühl vermitteln, dass niemand alleine ist und niemand alleine kämpfen muss. Dass immer Hilfe da ist, in Form eines Löwen oder einer Person oder eines Liedes.”

``Auf “Veröffentlichen” zu klicken, hat mich schon sehr viel Mut gekostet, weil ich mich im Video auch sehr verletzlich zeige. Aber für mich ist klar, dass immer im Vordergrund steht, wofür wir das machen. Das sollte mehr wiegen als Angst vor Ablehnung oder Hatern.``
Ani von ME & THE LION

Ihr möchtet also mit eurer Musik inspirieren. Was inspiriert euch denn?

Leo: „Mich inspiriert die Natur – besonders ein Spaziergang an der Ostsee oder im Wald. Hier kann ich durchatmen und finde oft Klarheit und neue Energie.“

Ani: „Für mich sind es vor allem die Menschen um mich herum, die mir neue Perspektiven eröffnen. Auch Bücher schaffen das oft, sowie tägliche Andachten, die mir im Alltag oft den Rücken stärken.“

Gab es in eurer noch relativ jungen Bandgeschichte schon ganz besondere Begegnungen oder Erlebnisse?

Ani: “Auf jeden Fall! Das prägendste Erlebnis bisher war wohl das Premierenkonzert von ME & THE LION in New York. Das Format war ein Hybrid-Konzert, das heißt, unser Beitrag wurde von einer Expertin im Bereich psychischer Gesundheit begleitet, die als Schnittstelle zu verschiedenen Hilfsangeboten fungierte für den Fall, dass sich jemand im Publikum durch eine Moderation oder einen Song angesprochen fühlte.
Nach unserem Konzert meldeten sich mehrere Menschen und sagten: “Das, worüber ihr singt, spricht mich an. Ich möchte Hilfe annehmen.”

Leo: „Bei unserem Auftritt auf dem all inklusiv Festival von Christian Schenk in Rostock sagte jemand aus dem Publikum, dass unser Konzert für ihn wie eine heilsame Umarmung war. Das war ein sehr bewegender Moment für uns. Klar, wir vermitteln hier ein schwieriges Thema, aber das machen wir auf eine erhebende Weise, nämlich mit schöner Musik. Wir sind sehr glücklich, dass dieses Konzept so gut aufgeht.”

Habt ihr auch schon Erfahrungen mit Stigmatisierung gemacht?

Ani: “Tatsächlich weniger. Eher begegnen uns Formulierungen aus Unwissenheit, die psychische Erkrankungen herunterspielen – Sätze wie: Geh doch einfach mal an die frische Luft, dann wird das schon wieder oder Steigere dich da nicht so rein. Solche Aussagen lösen oft Scham aus und das Gefühl, selbst Schuld zu sein. Man kann da schon echt die falschen Sachen sagen. Deswegen ist Aufklärung auch so wichtig! Und da sollten wir unbedingt schon früh ansetzen. Im Kindergarten zum Beispiel lernen wir bereits, wie wir uns sicher im Straßenverkehr bewegen – so etwas sollte es auch für mentale Gesundheit geben. Gerade weil psychische Erkrankungen unsichtbar sind, brauchen wir Worte, Anlaufstellen und Wissen dazu. Denn an Suizid sterben mehr Menschen als im Straßenverkehr. Wenn wir da nichts machen, ist das doch unterlassene Hilfeleistung!” 

Ani und Leo stehen nebeneinander, hinter ihnen einen bunt bemalte Wand

Und wie sieht die Zukunft von ME & THE LION aus, was sind eure Träume und Ziele?

Leo: “Jetzt ganz aktuell haben wir unseren Podcast gestartet und eine neue Single veröffentlicht, das Video dazu ist in New York entstanden. Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen!
In der Zukunft hoffen wir, noch mehr Möglichkeiten und Plattformen zu bekommen, um zu mehr Wissen, Offenheit und Prävention mentaler Erkrankungen beizutragen. Gerade das Format der Hybrid-Konzerte finden wir großartig, gerne möchten wir das auch in Schulen tragen und ganz allgemein noch mehr Menschen mobilisieren, ähnliche Projekte zu verfolgen.”

Ani: “Mit Kunst und Musik kann man so viel bewegen und auch schwierige Themen gut in den Mainstream tragen. Bis wir halt da ankommen, dass psychische Gesundheit ein Unterrichtsfach wird.” (beide nicken zuversichtlich)

Neugierig geworden?

Auf folgenden Webseiten gibt es weitere Infos und gute Musik von ME & THE LION:

Website ME & THE LION
ME & THE LION auf den Streamingplattformen
YouTube Videos von ME & THE LION

Anlaufstellen und Hilfsangebote Krisen-Links bei einer psychischen Krise oder Erkrankung gibt es auf dem MUT-ATLAS zu finden: www.mut-atlas.de/home/akute-krise

Sowie hilfreiche Krisen-Links zu den Themen Seelsorge, Krisendienstberatung, Angehörigen-Beratung, Online-Beratung, Depressionsforen, Selbsthilfe, Psychotherapieplatz-Suche und Suizid hier auf unserer Website: www.mut-tour.de/krisenlinks

X